Meine two-cents zur WDR-Redezeit mit Sama Maani

Liebe Ladies & Fellas

Mit Interesse habe ich gestern diesen Beitrag vom österreichischen Psychoanalytiker Sama Maani gehört: http://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/neugier-genuegt/sama-maani-100.html

Nach dem ich darüber geschlafen & etwas nachgedacht habe, sind mir ein paar Denkfehler aufgefallen, welche Herr Maani gemacht hat, in Bezug auf seinen Beitrag. Zum Beispiel verglich er die Religiösität, der jetztigen Flüchtlinge, primär des syrischen Bürgerkriegs, aus Afghanistan, etc. mit der Religiösität  von den Menschen, welche nach der Islamischen Revolution aus dem Iran flüchten mussten. Dieser Vergleich hinkt nicht nur, er braucht einen Rollstuhl. Denn der Vergleich übersieht die Tatsache, das nach 1979 vorallem (religiöse & politische) Minderheiten aus dem Iran flüchteten, der, vorallem, vor 1979, ein multiethnisches & multireligiöses Land war. Ein Beispiel: Vor 1979 lebten zwischen 90000-100000 Juden im Iran, heute leben noch knapp 11000 dort. Das selbe giltet auch für die Gruppe der Bahai, welche durch die systematische, vom schiitischen Klerus angezettelte Diskrimierung ins Exil getrieben wurden & werden.  Währenddessen sind viele arabische & islamische Staaten schon jetzt monoethnisch und/oder monoreligiös, siehe zum Bsp. Jemen, wo sich derzeit Schia & Sunna bekriegen. Oder Afghanistan, in welchem zwar unterschiedliche Ethnien leben, aber welches de facto fast vollständig islamisiert ist & wo es nur noch einige Buddhisten in abgelegenen Bergtälern leben & wo man nicht einmal mehr von einer jüdischen Gemeinde sprechen kann, da nur ein einziger Jude in Kabel, Zebulon Simentov, die Stellung hält. All die Konflikte, welche jetzt in der Umma hochkochen, haben, so leid mir das tut, den politischen Islam als Grund, sowohl im Jemen, wie auch in Syrien, massakrieren sich Schiiten & Sunniten gegenseitig, denn es kann nur einer herrschen & in Afghanistan versuchen die Taliban, der sowieso schon konservativen Bevölkerung, einen Steinzeitislam aufzuzwingen, der selbst für afghanische Verhältnisse too much ist. Der Punkt ist folgender: Die iranischen Flüchtlinge von 1979 flüchteten vor radikalen Fanatikern & die heutigen Flüchtlinge flüchten vor Bomben etc. sind aber, teilweise, selber radikale Fanatiker, oder haben zumindest problematische Ansichten, was Juden, Gleichberechtigung von Frauen, LGBT-People etc. angeht. Das es so ist, ist nicht die alleinige Schuld der Flüchtenden, immerhin lebten diese Menschen in Gegenden, in denen ihnen über Generationen, islamistische & baathistische Propaganda erzählt wurde. Diese Tatsache zu unterschlagen, hilft uns in dieser Situation nicht. Auch ist es eine Tatsache, das 1979 primär das (Bildungs-)bürgertum aus dem Iran flüchtete, sprich gutgebildete, wenn auch teilweise nicht wohlhabende Menschen, aus urbanen Zentren. Heute kommen viele Flüchtlinge aus ruralen Gegenden & haben wenig bis gar keine Bildung. Im Grossen & Ganzen ist deshalb Herr Maanis Beitrag gut gemeint, wenn auch naiv, wenn er urbane Sozialisten aus dem Teheran der siebziger Jahre mit einem halben Analphabethen von heute, der seine ganze Bildung aus der Madrassa hat & unverschleirte Frauen nur aus dem Internet & anderen Medien kennt, vergleicht. Neugier ist sicher nichts schlechtes, aber Fakten nicht anzuerkennen hilft niemandem.

3 Gedanken zu „Meine two-cents zur WDR-Redezeit mit Sama Maani“

  1. Sehr geehrte Anastasia,

    „Danke, dass Sie sich die Zeit für Ihren Kommentar genommen.“
    Gerne.

    Wir reden aneinander vorbei. Die Zahlen, die Sie anführen, stehen weder im Widerspruch zu meiner Argumentation – noch berühren sie diese.

    Um es anders und klarer zu formulieren: Es geht mir darum, zu zeigen, daß der Islam ein Bekenntnis ist – und keine quasi-genetische Eigenschaft von Arabern, Iranern, Türken. Daß zwischen Religionen und Individuen keinerlei fixe, unauflösliche Verknüpfungen existieren. Daß Religionen schlicht auch aussterben können.
    Genau jene rassistische Vorstellung von der fixen Verknüpfung von Islam und irgendwelchen Individuum aus irgendwelchen Ländern ist aber die Grundlage aller aktuellen Islam-Debatten. Sie wird sowohl von den Rechten als auch von sogenannten Linken und Liberalen vertreten – ohne daß sie dies offen aussprechen oder überhaupt merken würden.

    Daß für die (offensichtlich rassistischen) Rechten der Islam untrennbar und fix – also quasi-biologisch – mit Menschen aus bestimmten Ethnien verknüpft ist, liegt auf der Hand. Aber: Die meisten „Linken“ und „Liberalen“ sehen es auch nicht anders. Denn: „Islamophobie“ oder auch die Ablehnung des Islam als „rassistisch“ zu bezeichnen, wie es viele „Linke“ und „Liberale“ tun, kann man dann und nur dann, wenn man den Islam (ohne es zu merken) als „rassische“, quasi-genetische Eigenschaft von Arabern/Türken/Iranern auffaßt.
    Erst wenn diese falsche Verknüpfung gedanklich durchbrochen ist, ist es möglich, über den Islam zu reden – ohne absurderweise mit dem Rassismus in Verbindung gebracht zu werden. Erst dann ist es möglich, über den Islam als das zu reden, was er ist – Glaubensbekenntnis und nicht „Rasse“.

    Um diese falsche Verknüpfung gedanklich zu lösen, ist es nun aber ganz irrelevant ob sich 50, 70, oder 100 Prozent aller Mitglieder einer bestimmten Gruppe (Araber in Europa, Migranten in Frankreich etc.) sich zum Islam, zum Islamismus, zum islamischen Terrorismus etc. bekennen oder nicht bekennen. Es bleibt in jedem Fall ein Bekenntnis. Und als Bekenntnis sollte es – wie radikal auch immer – kritisierbar sein, ohne daß jemand dann sagt: „Du kritisierst den Islam? Also bist Du ein Feind aller Araber/Türken/Iraner – ergo ein Rassist.“

    Wenn Sie meine Texte lesen, werden Sie merken, daß mir nichts ferner liegt, als „den Islam“ zu verharmlosen. Ich versuche, ganz im Gegenteil, jene gedanklichen Voraussetzungen zu schaffen, die eine radikale „Islamkritik“, einschließlich einer radikalen Ablehnung des Islam, erst möglich machen – ohne sich dem absurden Vorwurf des Rassismus auszusetzen.

    Und: Ich halte die übliche Art der Unterscheidung zwischen „Islamismus“ und Islam für eine bequeme Schablone (à la „Islam = gut – und alles böse am Islam = Islamismus), die völlig an der Realität vorbeigeht. Schon der traditionelle Islam, der „Alltagsislam“, gehört aus meiner Sicht radikal kritisiert. Wenn das nicht passiert (und vielleicht passiert es ja auch nie), können sich islamisch geprägte Gesellschaften niemals von Religion emanzipieren, also nie frei werden.

  2. Sehr geehrter Agha Maani

    Danke, dass Sie sich die Zeit für Ihren Kommentar genommen, der ja länger als mein eigentlicher Blog-Eintrag ist.
    Nun zu Ihrer Kritik:
    Selbst das Bamf, das deutsche Bundesamt für Migration, sagt, das 73,1 % der Geflüchteten, welche im Jahr 2015 nach Deutschland kamen, sich als Muslime identifizieren:
    https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundesamt-in-zahlen-2015-asyl.pdf?__blob=publicationFile

    Christen & Yeziden sind in besagter Statistik vertreten, als Minderheit.

    Zum Zweiten: Wenn wir schon vergleiche anstellen, warum vergleichen wir nicht die schon in Europa anwesenden Araber, mit denen, die kommen?!?
    Nach der Recherche dieser Publikation, zieht mehr als jeder vierte französische Muslim, d.h. 28%, die Scharia einem demokratischen System vor:
    http://www.causeur.fr/musulmans-islam-charia-jdd-40158.html

    Das bedeutet jeder vierte französische Muslim ist ein Islamist & eine potentielle Gefahr für den Staat.

    Und bevor Sie motzen: Die Mehrheit der französischen Muslime stammt aus dem Maghreb & besagte Muslime sind entweder arabischer oder berberischer Abstammung. Witzigerweise giltet der Islam als besonders „liberal“…

  3. Meine two-cents zur WDR-Redezeit mit Sama Maani

    Hier scheinen, was meine Kritik an der Ideologie der „vollen Identität“ betrifft, grundsätzliche Verständnisprobleme resp. Missverständnisse vorzuliegen, die ich im folgenden zu klären versuche. Die Religiosität oder Nicht- Religiosität von aus islamisch geprägten Gesellschaften stammenden (tatsächlichen oder vermeintlichen) Moslems spielt bei meiner Kritik nicht die Hauptrolle – siehe unten. Allerdings existieren diesbezüglich aufschlußreiche empirische Untersuchungen, welche die gedankenlose Gleichsetzung „Araber/Iraner/Türke ist (in jedem Fall) gleich Moslem“ Lügen strafen. Und die ich daher als argumentativen Einstieg in die Kritik jener vollen Identität für geeignet halte. Laut einer repräsentativen Umfrage der Sozialwissenschaftlerin R. Spielhaus („Moslemisches Leben in Deutschland“) gaben
    50 Prozent der aus dem Iran,
    63 Prozent der aus Südosteuropa,
    aber auch
    36 Prozent der aus dem Nahen Osten stammenden Befragten an, keine Moslems zu sein.

    https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Muslime_Spielhaus_MDI.pdf

    „Hinzu kommt ein Ergebnis, das […] bis heute kaum diskutiert wurde: Ein signifikanter Anteil der Befragten, die sich laut Studie durchaus zum Islam bekannten, charakterisierte sich außerdem als „nicht gläubig“ oder „eher nicht gläubig“ … anders gesagt, spielt der Glaube für sie keine große Rolle in ihrem Leben.“ (R. Spielhaus, Wer ist Moslem und wenn ja wie viele?)
    „Menschen aus moslemischen Ländern werden […] immer wieder mit der Frage nach der religiösen Zugehörigkeit konfrontiert und unabhängig von ihrer eigenen religiösen Praxis oder Selbstdefinition zum Moslem erklärt – oder nehmen diese Zuschreibung an, ohne dass dies notwendigerweise ihre Lebensrealität widerspiegelt.“ (Ebd.)

    Als Moslems werden in Deutschland von Amts wegen alle Migranten gezählt, die aus einem „mehrheitlich moslemischen Land“ stammen. Die Existenz von aus „mehrheitlich moslemischen Ländern“ stammenden Anhängern anderer Religionen bzw. nicht-religiösen Menschen wird von Amts wegen verleugnet. Daraus ergeben sich, was die Anzahl der Moslems in Deutschland betrifft, gänzlich unrealistische Zahlenangaben – die wiederum rechten Phantasmen von einer drohenden „Islamisierung Deutschlands“ Vorschub leisten.

    Zu den Bemerkungen in Bezug auf eine Sonderrolle des Irans: Hier liegen die Dinge komplizierter. Es gibt tatsächlich deutliche Unterschiede zwischen der iranischen und anderen islamisch geprägten Gesellschaften (so erlebte etwa der Iran schon vor über hundert Jahren eine liberal-demokratische – die sogenannte konstitutionelle – Revolution). Die iranische Gesellschaft ist fraglos moderner und säkularer als die meisten anderen Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit. Diese Unterschiede werden in meinen Texten (und auch im Interview, wo sie gar nicht thematisch wurden) natürlich nirgends geleugnet. Im Gegenteil: Solche Differenzen zur Sprache zu bringen ist wichtig, um der Ideologie der „vollen Identität“, für die alle Menschen/Gesellschaften des „Orients“ irgendwie gleich sind, zu widersprechen.

    Vergessen wir aber nicht, daß offiziell über 99 Prozent der Bevölkerung Irans als Moslems gelten – wohingegen der christliche Anteil etwa an der Bevölkerung Ägyptens zehn bis fünfzehn Prozent und an derjenigen Libanons gar vierzig Prozent beträgt. Zehn Prozent aller Syrer sind Christen (ja, es gibt eine massive Abwanderung der Christen aus dem Nahen Osten, hier geht es aber zunächst um die Zuwanderer aus jenen Ländern in Deutschland). Und weitere zehn Prozent Kurden. Letztere gelten zwar offiziell als Moslems – die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung in Syrien scheint jedoch säkular eingestellt zu sein.
    In Zusammenhang mit der hohen Anzahl der in Deutschland lebenden iranischen Nicht-Moslems fallen weder die Anhänger der im Iran verfolgten Baha’i-Religion (ich bin zwar Atheist, aber als iranischer Baha’i aufgewachsen, und weiß daher, wovon ich rede) statistisch ins Gewicht (in Deutschland leben 6000 Baha’i. Die Mehrheit bilden jedoch deutsche Konvertiten; die Baha’i-Religion kam bereits 1905 über die USA nach Deutschland – nicht erst im Gefolge der Revolution von 1979). Noch auch iranische Juden, Zoroastrier oder Christen.

    All diese Zahlen verfehlen jedoch den Kern meiner Kritik an der Ideologie der vollen Identität. Denn auch jene, die sich subjektiv „voll mit dem Islam identifizieren“ – von moslemischen Bekenntnisgläubigen bis hin zu IS-Anhängern – gehen objektiv in ihrer imaginären Identifizierung mit dem Islam nicht auf. Sind sie doch darüber hinaus Frauen oder Männer, gebildet oder ungebildet, Unternehmer, Angestellter, Arbeiter oder arbeitslos, hetero-, homo-, bi- oder transsexuell usw. usf.

    Diese an sich triviale Tatsache immer wieder zu betonen, ist deshalb entscheidend, da in den aktuellen Islam-Debatten der Islam längst nicht als Glaubensbekenntnis gilt. Vielmehr werden Individuen, die aus islamisch geprägten Gesellschaften stammen, mit dem Islam buchstäblich gleich gesetzt. Und „der Islam“ mit diesen Menschen. Das hat zur Folge – und das erst ist der springende Punkt meiner Argumentation -, daß der Islam dann nicht mehr als ein Glaubensbekenntnis wie jedes andere kritisiert oder auch abgelehnt darf, weil die Ablehnung des Islam mit der Ablehnung dieser Menschen gleichgesetzt wird – und auf einmal als rassistisch gilt.

    Erst wenn diese Ideologie der vollen Identität durchschaut und gebrochen ist, wird Kritik am Islam, einschließlich richtiger Aussagen wie die folgende, von „linker“ oder „liberaler“ Seite nicht mehr reflexartig und in falscher Weise mit einzelnen (tatsächlichen oder vermeintlichen) Moslems verknüpft, und daher als rassistisch, sprich: unmöglich, verleumdet:

    „All die Konflikte, welche jetzt in der Umma hochkochen, haben, so leid mir das tut, den politischen Islam als Grund, sowohl im Jemen, wie auch in Syrien, massakrieren sich Schiiten & Sunniten gegenseitig“

    (das stimmt wie gesagt. Ich würde hier aber noch weiter gehen und sagen: sie haben nicht bloß den „politischen“, i.e. modernen, sondern den traditionellen Islam als Grund)

    Das folgende Interview, das ich der Zeitschrift Malmoe gegeben habe, ist für das Verständnis meiner Kritik am Begriff „Islamophobie“ hilfreich:

    http://www.malmoe.org/artikel/widersprechen/2987

    Weitere Lektüreempfehlung: Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten – und die eigene auch nicht:

    http://jungle-world.com/artikel/2015/46/53004.html

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