Das antisemitische Paradoxon

Geehrte Leser!

Zu dieser Schreibe haben mich eigene Erfahrungen mit Judenhass inspiriert.  Denn seien wir ehrlich: Nicht immer ist eine antisemitische Attacke so klar und physisch, wie das Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel oder die «Tree of Life»-Synagoge in Pittsburgh. Doch immer äussert sich Antisemitismus in einem irrationalen Hass auf alles vermeintlich Jüdische.

Vor einiger Zeit hatte ich eine Debatte mit einem Studenten, dieser kritisierte die israelische Nationalhymne. Dies würde angeblich Nicht-Juden diskriminieren, weil in ihr der Ausdruck «jüdische Seele» vorkommt. Einige Tage später kritisierte derselbe Mann das Gesetz, welches von Yair Lapids Partei «Yesh Atid» eingebracht wurde und mit dem, die Charedim endlich Wehrdienst leisten müssen, als «unjüdisch» und dass der Staat Israel somit «echte Juden» diskrimieren würde. Der gleiche Mann meinte auch wir Juden seien schuld am Antisemitismus, der uns widerfahren würde, da wir Juden uns mit unseren Geschäften und unseren Privatschulen abschotten und selbst-ghettoisieren würden. Als ich ihm von meiner Schulzeit als Jüdin in Zürich-Aussersihl erzählt habe, wurde er wütend und warf mir vor mit meiner Präsenz als jüdische Schülerin in einer öffentlichen Schule provoziert zu haben.

Was der Jude auch wagt zu tun, es ist nie Recht! Daran musste ich denken, als ich vor ein paar Tagen auf Facebook den Versuch einer Konversation mit einem assyrischen Christen hatte, der mir vorwarf keine «richtige Jüdin» zu sein, da ich bisexuell bin, obwohl im Tanach rein gar nichts über gleichgeschlechtliche Liebe zwischen Frauen steht, und ich mich mit Masorti identifiziere. Dieser Mann hatte die Unverschämtheit mir zu sagen, dass ich keine «Semitin» sei und er «mehr Jude», als ich, weil seine Vorfahren angeblich Juden gewesen seien. Mir ist bewusst, dass seine verquere Logik, eigentlich keine Logik ist, sondern ein vom antisemitischen Ressentiment angetriebener Opferneid.

Aber diese Tatsache zeigt, dass solche Denke, auch im Land der Dichter und Denker und den Nachbarstaaten, und zwar auch unter heutigen Dichtern und Denkern Urstände feiert. Es ist faktisch Normalität widerlichsten antisemitischen Unsinn zu verzapfen und wenn man damit konfrontiert wird, dass man antisemitisches Gift verbreitet dies zu leugnen oder seinem jüdischen Gegenüber unlautere Motive zu unterstellen, oder zu sagen, dass sie aus absurden Gründen «nicht richtig jüdisch» sei. Wie mir auch schon widerfahren ist, als ich einen Veganer dafür kritisiert habe, als dieser die Schoa mit Milchwirtschaft und Imkerei mit Sklaverei verglichen hat. Dieser Veganer hat mich dann auf eine Stufe mit SS-Angehörigen gestellt, die an der «Rampe» gearbeitet haben, weil ich es unmoralisch finde Imkerei mit Sklaverei und die Milchindustrie mit der Schoa zu vergleichen.

Da das antisemitische Ressentiment so tief sitzt, ist es eigentlich sinnlos Diskussionen mit solchen Elendsgestalten zu führen. Was aber leichter gesagt als getan ist, da diese Personen die Konfrontation mit Juden suchen, wenn auch nur, um sich sein Mütchen am Juden abzukühlen. Da ist es schwierig solchen Menschen aus dem Weg zu gehen. Ausser man schottet sich tatsächlich ab und dann ist man ja wieder schuld am Antisemitismus, der einem widerfährt, wie der Herr meinte, mit dem ich mich einmal unterhalten habe. Das ist meiner Meinung nach das antisemitische Paradoxon, mit dem uns die Antisemiten plagen: Der Jude ist schuld an der einen Sache und dann auch am Gegenteil davon.

Vor einiger Zeit schrieb ich, dass ich Angst davor habe, dass einmal eine Zeit anbricht, in der es als legitim angesehen wird Minderheiten zu schikanieren, weil diese sich aus ihrem Schneckenhaus, ihrem «Schutzraum» wagen. Ich denke, wir als Gesellschaft sind auf dem besten Weg dorthin. Denn es wird inzwischen als legitim angesehen, Juden die Schuld an Antisemitismus dafür zuzuschieben, dass manche Juden sich tatsächlich abschotten und andere eben nicht und sich dieser Gesellschaft offen als Juden zeigen. Es war für uns Juden ein langer Weg aus dem Ghetto und bis heute fällt es nicht allen Leuten leicht, uns als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren, sondern man sieht Juden immer noch als geduldete Fremde. Das ist besorgniserregend und sorgt, wie ich finde, für Regress. Sollte dieser Trend nicht aufgehalten werden, wird es immer prekärer für Juden in unseren Breitengraden zu leben. Diese Mentalität könnte übrigens auch auf andere Minderheiten überschwappen, denn Regression hört nicht mit Antisemitismus auf, beginnt aber gerne damit. Ganz besonders dann, wenn Antisemitismus, wie jetzt, nicht ernst genommen wird und man antisemitischem Gedankengut nichts entgegensetzt.

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