Was mich noch überrascht/ Eine Polemik

Liebe Ladies und Fellas

Entschuldigen Sie bitte vorab den Zynismus und die Bitterkeit, welche aus jeder der folgenden Zeilen triefen werden, aber ich muss mir etwas von der Seele schreiben. Nach der Echo-Verleihung an Farid Bang und Kollegah und die Attacke auf einen einundzwanzigjährigen Israeli, der durch seine Kippa als Jude erkennbar war, in Prenzlauer Berg, sind viele Leute empört, schockiert und überrascht. Ich bin es nicht, es war für mich, leider vorhersehbar, dass solche Dinge passieren würden und ich bin mir darüber im Klaren, dass so etwas wieder passieren wird. Denn im Deutschrap tummeln sich seit Jahren Rapper mit, gelinde gesagt, kruden Ansichten und im Zeitalter von «YouTube» und Streamingdiensten, ist es irrelevant, ob die CDs von besagten Rappern indiziert und somit nicht von den öffentlich-rechtlichen Sendern gespielt werden. Genau dies wird durch die Vergabe des Echo-Preise an Farid Bang und Kollegah demonstriert. Ich selber habe zu oft Antisemitismus, wortwörtlich, am eigenen Leib und am helllichten Tag erfahren, um darüber überrascht zu sein, dass ein junger Jude, der durch seine Kippa oder den Magen David, als solcher erkennbar ist, deshalb, auch am helllichten Tag, Gewalt erleiden muss.

Durch meine eigenen Erlebnisse, als Jüdin, in Mittel- und Osteuropa, ist mir vollkommen bewusst, dass zwei Dinge unendlich sind: Das Universum und die Vorstellungskraft von Antisemiten. Nur beim Universum bin ich mir sicher. Deshalb wäre ich auch nicht überrascht, wenn mir zum Beispiel ein Antisemit, der natürlich im 21. Jahrhundert keiner sein will, sagen würde, dass Mark Zuckerberg nicht-jüdische Kinder statt Truthahn an Thanksgiving essen würde. Genau deshalb lautet die Frage nicht, ob wieder sowas passieren könnte, sondern wann es wieder passiert und darum überrascht es mich viel mehr, wenn mündige, geschäftsfähige und wahlberechtigte Menschen zum Beispiel behaupten, dass die Erde flach ist. Denn im Gegensatz zu den tausendundeinen, irren, antisemitischen Verschwörungstheorien, hat diese Verschwörungstheorie, so viel ich weiss, nichts mit meinem Völkchen zu tun und genau deshalb ist sie für mich so bizarr und unerklärlich. Mir ist wohl bewusst, dass, wie oben erwähnt, die tausendundeinen, antisemitischen Verschwörungstheorien, grösstenteils einfach nur irre sind, aber an den antisemitischen Wahn habe ich mich, grösstenteils, gewöhnt und so verwundern mich nur noch Verschwörungstheorien und Vorurteile, so fern diese uns Juden nicht betreffen. Zu oft musste ich mir, mit meinen eigenen Ohren, antisemitischen Unsinn, von gebildeten Menschen anhören, wie die Ritualmordlegende, oder dass die damals achtjährige Miriam Monsonego, eines der Opfer von Mohammed Merah, eine Mitschuld an ihrem eigenen Tod habe, weil sie doch von den Vorurteilen gegenüber uns Juden hätte wissen und entsprechend reagieren und zum Beispiel ihren eigenen Mörder hätte umarmen müssen. Wegen genau solcher Vorfälle, waren die Ereignisse der letzten Woche keine Überraschung für mich, so zynisch dies auch klingen mag und so lange Antisemitismus nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, so lange werden sich solche Ereignisse wiederholen, manche werden davon überrascht sein und ich werde nur seufzen.

Weder Kollegah noch Farid Bang sind das Problem

Liebe Ladies und Fellas

Jetzt, nach der Echo-Verleihung, überschlagen sich, überschlagen sich empörte Berichte, über die deutsche Rap-Szene im Allgemeinen und über Kollegah und Farid Bang im Besonderen. Ich frage mich allerdings wo das Feuilleton die ganzen letzten Jahre über war. Schon 2008 rappte Farid Bang auf dem Lied «Der Araber», von seinem Debutalbum «Asphalt Massaka», das Folgende: «Rap muss atemberaubend, wie `ne Gaskammer sein.» Damals gab es keine Empörung und so ist es nicht verwunderlich, dass jemand wie Farid Bang weiter auf dieser Schiene fährt, welche ihm offensichtlich Geld einbringt. Ergo bedeutet es, dass Kollegah und Farid Bang nicht das Problem sind, sondern viel mehr das Symptom eines viel tiefergehenden Problems Es betrifft die Integration, und wurde bisher geflissentlich vom Feuilleton ignoriert so lange es zu keinem Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt kam, oder jetzt der Echo-Verleihung an Kollegah und Farid Bang. Besagten Echo haben die beiden Herrn übrigens deshalb bekommen, weil sie konstant und konsequent diese Art des Battle-Rap machen und dieser Rap sich momentan sehr gut verkauft. Diese Tatsache, dass im Deutschrap heute antijüdische Ressentiments kapitalisiert werden, wurde bis zur Echo-Verleihung mutwillig ignoriert.

Diese Indifferenz und Ignoranz rächen sich jetzt. Es nützt nichts irgendwelche, in unproduktiver Empörung verfasste Boykottaufrufe, Polemiken und dergleichen herumzureichen und sich dafür auf die Schulter zu klopfen. Das löst die eigentlichen Probleme nicht. Stattdessen sollte man sich fragen, wie es so weit kommen konnte, dass entweder Imame wie Ferid Heider und Abdul Adhim Kamouss oder Rapper, wie die oben erwähnten, Farid Bang und Kollegah, grössere Autoritätspersonen und Vorbilder, für Jugendliche mit Migrationshintergrund sind, als zum Beispiel Lehrer, Chemielaboranten und Feuerwehrleute und was man jetzt noch tun kann, um das Ruder rumzureissen?

Experten, wie Ahmad Mansour, haben schon oft und zu Recht, gesagt, dass die Schulsysteme in Deutschland, in Europa, daran scheitern einen Ahmed, einen Abdul und einen Kianoush dort abzuholen, wo diese Jugendlichen stehen und ihnen befriedigende Antworten auf ihre Fragen zu geben. Auf Experten, wie Ahmad Mansour gilt es nun zu hören und mit besagten Experten Konzepte zu erarbeiten, welche das, auf dem Feld der Integration, retten können, was noch zu retten ist. Symptombekämpfung dagegen, ist in den meisten Fällen und auch diesem Fall nicht zielführend und man sollte es vermeiden, sich zu sehr mit Kollegah und Farid Bang zu beschäftigen, denn der Tabubruch ist schon lange vor den beiden passiert und nun kann man die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Stattdessen sollte man ein Augenmerk auf die richten, welche entweder zu den Konzerten von Farid Bang und Kollegah gehen, oder die Predigten eines Imams, wie Ferid Heider besuchen. Was wir uns stattdessen, in dieser Situation, nicht erlauben können, ist und entweder in den besagten Tabubruch festzubeissen oder weiterhin total indifferent gegenüber offensichtlichen Problem im Bereich der Integration zu sein. Diese Indifferenz hat uns nämlich an diesen Punkt gebracht, an dem wir, als Gesellschaft nun stehen und hier müssen wir endlich, am besten mit Experten vom Kaliber eines Ahmad Mansour, effektive Lösungen erarbeiten, bevor es noch zum gesellschaftlichen GAU kommt.

Deshalb und weil dieser Tabubruch, zumindest für mich, absolut vorhersehbar war, denn wir Juden müssen unsere Eichrichtungen nicht erst seit Kollegahs und Farid Bangs Debutalben, mit Panzerglas schützen, weigere ich mich über die Beiden, mehr als nötig zu echauffieren und ihnen so Aufmerksamkeit zu schenken. Stattdessen warte ich darauf, dass die Flutwelle aus unproduktiver Empörung abebbt und an Stelle davon etwas Konstruktives zum Vorschein kommt. Eine Anmerkung sei mir noch gestattet: Sowohl Kollegah, wie auch Farid Bang sind bekennende Muslime und haben den Song «Ave Maria» veröffentlicht, welcher sehr vulgär ist. Das «Ave Maria» ist eines der wichtigsten Gebete der katholischen und orthodoxen Christenheit. Nun frage ich mich, wie sich Kollegah und Farid Bang, als bekennende Muslime fühlen würden, sollte ein bekennender Christ einen sehr vulgären Track veröffentlichen und diesen Track «Al-Fatiha», nach der ersten Sure des Korans nennen?