Mein Senf zu Erdogan und der Istanbul-Konvention

Geehrte Leserinnen und Leser!

Heute gibt es mal wieder einen Quickie! Denn Ereignisse in den letzten Tagen haben mich dazu genötigt, diese Zeilen zu schreiben. Obwohl ich wahrlich kein Erdogan-Fan bin, so finde ich es gelinde gesagt bizarr, dass nur Erdogan für den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention kritisiert wird. Es ist offensichtlich undemokratisch, dass Erdogan das per Dekret getan hat, und zeigt, dass er ein Teekessel-Diktator vor dem Herrn und am Bosporus ist, ein Möchtegern-Sultan.

Allerdings haben auch Staaten wie Armenien und Ungarn sich geweigert, die Istanbul-Konvention zu ratifizieren, alle übrigens aus demselben Grund wie Erdogan, der meiner Ansicht nach die Karikatur eines orientalischen Despoten ist: Weil sie die Istanbul-Konvention einen Angriff auf die sogenannte «traditionelle Familie» sehen.

Sowohl in der Türkei wie auch anderswo, opfert man aber so für die sogenannte «traditionelle Familie» das Leben von Frauen. Denn sowohl in Armenien wie auch in der Türkei, was an sich eine traurige Ironie ist, gibt es ein offensichtliches Problem von Feminizid, dem Mord an Frauen, nur weil sie Frauen sind.

In Armenien beginnt das Ganze schon, wenn Frauen mit weiblichen Föten schwanger sind und von ihren Familien zur Abtreibung gedrängt werden, denn der Nachname der Familie des Mannes darf nicht aussterben, der Rauch im Schornstein des Hauses nicht ausgehen. Der ehemalige Präsident Armeniens Serzh Sargsyan meinte, als er auf den Feminizid in Armenien angesprochen wurde, dass er stolz auf seine Frau wäre, sie sei eine gute Frau und gute Frauen würden Söhne gebären.

Es ist nunmal leider so, dass Erdogan ein frauenhassender Islamist ist, aber mit dem Hass auf Frauen ist er nun wahrlich nicht allein. Das Problem mit der Weigerung, die Istanbul-Konvention zu ratifizieren, ist demzufolge entweder schlicht Frauenhass oder der Wille, dem eigenen Verständnis einer sogenannten «traditionellen Familie» alles unterzuordnen, auch das Leben und die Gesundheit von Frauen.

Von Brotkrummen und Siegen

Das Regime der Islamischen Republik Iran hat endlich Frauen erlaubt beim Public Viewing im Azadi-Stadium in Teheran dabei zu sein. Dieser Hohn Frauen gegenüber wird von moralisch verkommenen Regime-Apologeten als Sieg verkauft. Dabei betrifft die Erlaubnis nur das Public Viewing, d.h. nicht wenn tatsächlich Männer im Azadi-Stadium Fussball spielen, welches um dem Hohn und Spott, gegenüber den Frauen Irans, welche unter dem Regime, bestenfalls, Bürger zweiter Klasse sind, die Krone aufzusetzen, auf Deutsch «Freiheitsstadium» heisst.

Diese, von den Regime-Apologeten, propagierten Siege sind nichts weiter als Brotkrummen, Opium für das Volk, um irgendeinen Progress vorzutäuschen, während Frauen immer noch nicht der Eintritt bei Fussballspielen ins Stadium gestattet ist und minderjährigen Mädchen der Hijab aufgezwungen wird und sie ab dem Alter von Neun zwangsverheiratet werden können. Bereits früher schrieb ich, dass das Regime der Islamischen Republik berühmt-berüchtigt für das Spiel des «Good-Cop-Bad-Cop», bei welchem die sogenannten «Reformer» dankbar die Rolle des guten Polizisten übernehmen, um Regime-Apologeten und andere naive Geschöpfe bei der Stange zu halten. Echter Progress, nicht nur für die Frauen des Iran, wäre ein Regime-Change, nach welchem die Frauen selber entscheiden können an welches Fussballspiel sie gehen, ohne vorher die Erlaubnis eines Geistlichen zu erbetteln, oder sich als Männer verkleiden zu müssen. Damit aber besagter Regime-Change möglichst friedlich von statten gehen kann, muss das Regime zu Teheran international sanktioniert und isoliert, nicht hofiert werden. Alles andere stärkt das Regime, denn es gibt die Trennung von sogenannten «Hardlinern» und «Reformern» nur in den Köpfen von Regime-Apologeten, während das Regime selber nur am Machterhalt ist, koste es was es wolle., interessiert ist. Daran können Brotkrummen in Form von Public Viewing-Events auch nichts ändern, welche auch noch dafür benutzt werden, um von Hinrichtungen an politischen Gefangen, wie bei Ramin Hossein Panahi, abzulenken. Ein tatsächlicher Sieg für die Menschen des Iran, grösser als Siege von «Team Melli» bei der WM, wäre ein Rechtsstaat mit freien und demokratischen Wahlen, bei welchen auch Ramin Hossein Panahi, als freier Mann, seine Stimme abgeben könnte. Bis dahin sollte man, als mit Mensch mit Gewissen, solche Brotkrummen, wie das Public Viewing-Event im Azadi-Stadium ablehnen und stattdessen echte demokratische, iranische Oppositionelle unterstützen.