Offener Brief an Brigitta Renate Hemmer

Sehr geehrte Frau Hemmer

Es fällt mir schwer, die folgenden Zeilen zu schreiben, aber ich frage mich, ob es Ihnen am Text-Verständnis mangelt oder es etwas anderes ist, aber offensichtlich muss ich es tun. Nun denn, gestern schrieb ich die folgenden Zeilen auf meinem Blog:

«Das alles zeigt, dass die Gefahr für uns Juden nicht nur von Antisemiten selber, sondern auch von der Gleichgültigkeit der Gesellschaft ausgeht, und genau das ist es, was mir Sorgen bereitet. Denn wie der grosse Martin Luther King einst sagte: «Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern, sondern an das Schweigen unserer Freunde.» D.h., dass sich Antisemiten judenfeindlich verhalten, ist nicht verwunderlich, darum sind sie ja Antisemiten, weil sie eben Judenfeinde sind. Dass die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft nichts tut, ist die eigentliche Tragödie und zeigt, dass die ganze, mantrahafte Wiederholung von «Nie Wieder» nichts als Rhetorik ist, denn viele Nicht-Juden haben offenbar nicht die richtigen Schlüsse aus der Geschichte gezogen.»

Dies verleitete Sie dazu folgenden Kommentar zu schreiben:

Dazu muss ich sagen, dass wir Juden, wie auch andere Minderheiten, ja Menschen allgemein, nicht dazu verpflichtet sind, jene zu bespassen, die uns demütigen und entmenschlichen. Diese Zeiten sind endgültig vorbei! Und ja, es ist erniedrigend und demütigend uns Juden als Insekten, als Ungeziefer darzustellen, wie das in Aalst wieder geschehen ist. Wenn man etwas Selbstliebe und Respekt hat, dann reagiert man nicht mit Humor auf Entmenschlichung, sondern kritisiert und protestiert gegen diesen Mangel an Anstand, denn dieser Mangel an Anstand ist gefährlich, das hat die Geschichte bewiesen. Hinter einem solchen Weltbild, das uns Juden zum Spass als Ungeziefer porträtiert, steckt folgende Aussage: «Wir haben euch Juden schon mal gedemütigt und ermordet, wir können das wieder tun.» Genau darum ist es wichtig, dass man Antisemitismus effektiv bekämpft und sowohl von Symbolpolitik ablässt, als auch keine Relativierung antisemitischer Propaganda und antisemitischer Taten betreibt. Das sage ich nicht aus Panikmache, sondern weil es mich die Geschichte gelehrt hat.

Für die Zukunft wünsche ich Ihnen, dass Sie auch etwas aus der Geschichte lernen und von uns Juden nicht erwarten, das wir jene bespassen, die uns demütigen und entmenschlichen. Schlicht und ergreifend deshalb, weil dies der zivilisatorische Mindeststandard sein soll, nach dem man im 21. Jahrhundert leben sollte und wir Juden Teil dieser Gesellschaft sind, als mündige Bürger und Bürgerinnen, und nicht als Fussabtreter von Antisemiten und jenen, die Antisemitismus relativieren.

 

Nachtrag zum Karnevalsumzug in Aalst

Geehrte LeserInnen!

Was soll man noch sagen oder schreiben?! Wie zu erwarten, hat es beim Karnevalsumzug in Aalst wieder antisemitische Darstellungen von Juden gegeben. Man hat sich in Aalst gar selber übertroffen und dieses Jahr uns Juden als Ungeziefer/Insekten dargestellt, ausserdem waren unter anderem Karikaturen orthodoxer Juden, zwischen denen Goldbarren liegen, zu sehen. Und der Bürgermeister von Aalst weigert sich immer noch brave Karnevalisten als Antisemiten auszugrenzen, denn man würde damit ja nicht den Holocaust verunglimpfen, als ob alles, was kein Genozid an Juden ist, nicht antisemitisch sein kann.

Aber auch das war zu erwarten, denn Wiederholungstäter sind Überzeugungstäter. Es ist zum Heulen! Im Jahr 2020 werden wir Juden mitten in Europa zum Spass öffentlich als Ungeziefer dargestellt und gedemütigt. Und da kommen die Relativierer wieder aus ihren Löchern gekrochen und fordern uns Juden auf, wie viele andere Nicht-Juden dies mit Humor zu nehmen, weil dies ja eine europäische Tradition sei und wir Juden eben lernen müssten mit diesen Spannungen zu leben. Oder man vergleicht gar jahrhunderte alte antisemitische Stereotype mit Karnevalssujets, bei denen islamischer Terrorismus aufs Korn genommen wird. Während beim letztgenannten Taten von Muslimen karikiert werden, wurden wir Juden dieses Jahr in Aalst komplett entschmenschlicht, denn Entmenschlichung ist das Ziel wenn man uns Juden als Ungeziefer porträtiert, und Entmenschlichung kann und darf man nicht mit Humor nehmen. Denn sonst wird es ein böses Ende nehmen, dazu muss man nicht mal zu Vergleichen mit dem Holocaust greifen. Ruanda als Erinnerung sollte da vollkommen ausreichen.

Was es aber nicht tut, denn es gibt keine Proteste, die nicht-jüdische Zivilgesellschaft hat in diesem Fall, meiner Ansicht nach, vollkommen versagt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in einem Klima, in dem solch ein antisemitisches Schaulaufen bestenfalls, Gleichgültigkeit erntet, Judenhass wächst und gedeiht wie Unkraut. Schlicht und ergreifend deshalb, weil ausser uns Juden sich niemand wegen Antisemitismus ernsthafte Sorgen macht und dagegen etwas Konkretes unternimmt. Es fällt mir schwer, diese, für mich geradezu surreale Situation, in Worte zu fassen. Trotzdem ist es aber bittere Notwendigkeit, obwohl es mich als Jüdin ankotzt, mich damit auseinandersetzen zu müssen, denn wie gesagt, werden wir Juden im Kampf gegen Antisemitismus fast vollkommen alleine gelassen. Dies ist beschämend für die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft und gefährlich für uns Juden. Trotz der Tatsache, das wir Juden ganz bestimmt nicht noch mehr Gefahrem in unserem Leben brauchen. Denn es ist nuneinmal Fakt, dass Antisemitismus seit Jahren zunimmt, auch und gerade in Belgien, wie das Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel und der Karnevalsumzug in Aalst gezeigt haben.

Das alles zeigt, dass die Gefahr für uns Juden nicht nur von Antisemiten selber, sondern auch von der Gleichgültigkeit der Gesellschaft ausgeht, und genau das ist es, was mir Sorgen bereitet. Denn wie der grosse Martin Luther King einst sagte: «Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern, sondern an das Schweigen unserer Freunde.» D.h., dass sich Antisemiten judenfeindlich verhalten, ist nicht verwunderlich, darum sind sie ja Antisemiten, weil sie eben Judenfeinde sind. Dass die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft nichts tut, ist die eigentliche Tragödie und zeigt, dass die ganze, mantrahafte Wiederholung von «Nie Wieder» nichts als Rhetorik ist, denn viele Nicht-Juden haben offenbar nicht die richtigen Schlüsse aus der Geschichte gezogen.

P.S. Bevor ich es vergesse: Wenn Ihnen die Schreibe auf meinem Blog gefällt, können Sie ihn auf «Steady» unterstützen. Ich werde den passenden Link unten hinzufügen.

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