Ein kleiner Essay über Proteste in Russland

Geehrte LeserInnen!

Ein Leser dieses Blogs hat mich auf Twitter gefragt, ob ein militärisches Eingreifen von Russland in Belarus zu Protesten in Russland selber führen würde. Meine Antwort darauf ist schlicht: Nein!

Aber lassen Sie mich das etwas genauer ausführen. Denn wie uns die jetzigen Proteste in Chabarowsk und die kleinen, aufflammenden Proteste in Solidarität mit Chabarowsk und die Proteste davor, aufgrund der Erhöhung des Rentenalters in ganz Russland gezeigt haben, wird in Russland nur dann protestiert, wenn es ans Eingemachte geht und das Ungemach einen ganz persönlich betrifft. Wie eben mit der Erhöhung des Rentenalters und der Tatsache, dass man erst Jahre später in den Ruhestand darf oder als Mann diesen gar nicht erlebt, weil man vor dem Eintritt ins Rentenalter stirbt, weil die Lebenserwartung für Männer in Russland, die nicht zur Elite des Landes gehören, unter aller Kanone ist. Dasselbe gilt auch für die Absetzung des beliebten Gouverneurs Sergey Furgal, der unter fadenscheinigen Gründen abgesetzt und inhaftiert wurde, und davor zu einiger Prominenz und Beliebtheit erlangte, weil er kostenloses Schulessen eingeführt hat, die Strassen und andere Infrastruktur reparieren liess und gegen illegale Bauten vorging.

Wie gesagt: In Russland wird, bestenfalls, nur dann demonstriert wenn es um die eigenen Interessen geht. Das zu sagen ist nicht rassistisch oder «russophob», das ist schlicht Fakt. Es gab keine grossen Anti-Kriegs-Demonstrationen gegen den Augustkrieg und die anschliessende Okkupation von georgischen Territorien 2008, es gab auch keine nennenswerten Demonstrationen gegen die Okkupation der Krim und den Krieg in der Ukraine 2014 und es wird auch keine geben, wenn sich der Kreml an Belarus vergreift.

Ausser natürlich man macht den Menschen in Russland klar, dass sich ihre chauvinistischen und irredentistischen Spielchen und die Okkupation von Territorien von souveränen Staaten nicht auszahlt, indem endlich das ganze Repertoire von möglichen Sanktionen gegen den Kreml eingesetzt wird und ja, auch gegen «einfache Russen», die diese Politik unterstützen, indem man ihnen dann keine Visa mehr für «Gayropa» ausstellt. Die können dann Urlaub auf der Kamtschatka machen.

Denn man muss gegenüber Leuten, die auf einer Kultur des Chauvinismus und der Dominanz aufbauen keinerlei Toleranz üben. Man muss ihnen mit der nötigen Härte begegnen, das bedeutet nicht, dass wir unsere Menschen- und Bürgerrechte in die Tonne treten sollen, aber es bedeutet, dass es an der Zeit ist zu verstehen, dass die andere Seite einen «kritischen Dialog» als ein Anzeichen von Schwäche versteht und dementsprechend handeln: Das heisst, Sanktionen und nochmals Sanktionen, bis sich der Kreml und seine chauvinistischen Handlanger zurückziehen und zumindest die Nachbarländer Russlands selber entscheiden lassen, wie diese ihre Zukunft gestalten wollen.

Wenn dies der Fall ist, kann man auch zum Dialog zurückkehren, sofern dieser dann noch nötig ist. Und wenn er dann noch nötig ist, kann man damit die russische Zivilgesellschaft stärken, damit es endlich zu Demonstrationen kommt, die nicht nur einen selber betreffen, sondern auch andere. Dann erst wird Russland ein normales Land, das nicht mehr im Feudalismus und Imperialismus vergangener Tage gefangen, sondern endlich im 21. Jahrhundert angekommen ist.

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