Der Attentäter von Halle und offene Türen

Geehrte LeserInnen!

Der heutige Text ist wieder ein Quickie. Wie man in der «Frankfurter Allgemeinen» lesen konnte, hat Stephan B., der Attentäter von Halle, ein umfassendes Geständnis abgelegt, in dem er unteranderem, sagte, dass er wünschte, mehr Menschen ermordet zu haben und es tatsächlich auf Juden abgesehen hatte. Welche Überraschung, dass ein Mann, der bewaffnet an Yom Kippur in eine Synagoge einzudringen versucht, Juden meucheln will! Stephan B. scheiterte allerdings an der Synagogen-Türe!

Wir Juden hatten letzten Yom Kippur Glück im Unglück! Denn aufgrund der Ignoranz eines Stephan B., der dachte, dass man einfach an Yom Kippur in eine Synagoge spazieren kann, wie in eine Kirche an Weihnachten und Ostern, wurden wir Juden gerettet. Aber Stephan B. ist nicht alleine, weder mit seinem Antisemitismus noch mit seiner Ignoranz.

In Europa müssen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen mit Panzerglas und dergleichen geschützt werden, eben aufgrund von Antisemiten, die uns selbst an Yom Kippur meucheln wollen. Und Menschen wie Stephan B. denken, dass man da einfach in eine Synagoge spazieren kann? Aber dies passt zur allgemeinen Mentalität: Man nimmt Antisemitismus nicht ernst und relativiert die Ängste von uns Juden. Deshalb gab es ja auch nicht einmal an Yom Kippur Polizeischutz vor der Synagoge in Halle.

Und das ist das wahre Problem! Nicht nur versuchen Antisemiten verschiedener Couleur ihr Mütchen an uns Juden zu kühlen, weil sie uns für den Corona-Virus/Covid-19, Zuwanderung, Feminismus und den kläglichen Zustand der islamischen Welt verantwortlich machen, sondern sogar immer noch für Ritualmorde, wie das Werk des italienischen Malers Giovanni Gasparo beweist. Gasparo, der aus Hafenstadt Bari an der Adria stammt, hat mit seinem Bild, der Darstellung des angeblichen Ritualmords an Simon von Trient, der nicht tot zu kriegenden, antisemitischen Ritualmordlegende, neues Leben eingehaucht. Nicht nur das! Sein Bild spart auch nicht an antisemitischen Stereotypen, denn während Simon von Trient als blond und blauäugig dargestellt wird, haben die Juden, die ihn angeblich ermordet haben, alle eine Hakennase und Schläfenlocken.

Darum ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich erdreistet, uns Juden am Ende sogar noch die Schuld am Antisemitismus zu geben. Einmal erklärte mir ein Nicht-Jude, dass wir Juden selber am Antisemitismus schuld seien, weil wir uns von der Gesellschaft abkapseln würden. Nachdem ich ihm von meiner Zeit in einer Sekundarschule im Zürcher Kreis 4 erzählt habe, hat er mich gefragt, warum ich ausgerechnet dort zur Schule gegangen sei und das antisemitische Mobbing dort durch meine Anwesenheit provoziert hätte.

Es ist zum verzweifeln, denn Antisemitismus wird konstant relativiert und wir Juden werden im Kampf gegen Antisemitismus oft wortwörtlich alleine auf weiter Flur gelassen. Was dazu führt, dass Antisemitismus seit Jahren rasant zunimmt, nunmehr Urstände feiert und sich dies in Fällen äusserst wie dem Attentat von Halle. Und solange man dagegen nicht effektiv vorgeht, sondern Antisemitismus praktisch Tür und Tür öffnet, wird es auch weiterhin solche Täter wie Stephan B. geben.

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