Bekenntnisse eines Vatanforoosh: Der Abgrund

Geehrte LeserInnen!

Die US-Präsidentschaftswahl und der Fakt, dass der neue Präsident der USA Joe Biden heissen könnte, sorgen in meinem Bekanntenkreis für Aufruhr, denn wenn man Donald Trump etwas zugutehalten will, dann muss es meiner Ansicht nach seine Politik des «maximalen Drucks» gegen das klerikal-faschistische Regime zu Teheran sein. «Was ist dann mit dem Iran?», lautet die Frage, wie aus einer Kehle, in meinem Bekanntenkreis.

Nun, was mit dem Iran werden wird, darüber möchte ich hier schreiben. Bis zum heutigen Zeitpunkt hatte die antiklerikale Opposition fast vier Jahre Zeit gehabt für den Regimechange im Iran. Dass daraus bisher nichts geworden ist, ist nicht die Schuld der Araber, Türken und Alexander dem Grossen oder wem auch immer, sondern liegt auch daran, dass ein grosser Teil der antiklerikalen Opposition diese Zeit damit verschwendet hat, sich dem Grössenwahn hinzugeben. Meiner Ansicht nach ist nicht Opium die Volksdroge des Iran, sondern irredentistischer Grössenwahn. Es fällt mir ehrlich gesagt zunehmend schwerer, Mitgefühl für Menschen zu empfinden und mich mit ihnen solidarisch zu zeigen, die davon träumen, mich mit dem gleichen Strick wie Khameini zu erhängen, um dann meinen Leichnamen an Hunde zu verfüttern.

Mich ermüden die ewig gleichen Diskussionen/Streitereien mit Iranern, und ja, es sind in der Regel Männer, in denen diese den südkaukasischen Ex-Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan und Georgien das Existenzrecht absprechen, von mir erwarten, da ich Zionistin bin, mich zwischen der Existenz von Israel und von Georgien zu entscheiden, und allen Ernstes die territoriale Integrität der Ukraine in Frage stellen, weil in ihrem Geiste die Krim schon persisch ist. In ihrem Geist haben die, die bis heute keinerlei Macht in Teheran haben und ihr Dasein im Exil fristen müssen, schon einen Schlachtplan für die Einnahme der Krim erstellt. Nämlich darauf zu warten, bis sowohl Russland als auch die Ukraine am Boden sind, und dann die Krim einzunehmen. Für diese Iraner ist es eine historische Ungerechtigkeit sondergleichen, dass Länder wie die Türkei, Georgien, Russland und die Ukraine einen Zugang zum Schwarzen Meer haben, der Iran aber nicht.

Mit all dem, meine geehrten Damen und Herren, haben sich antiklerikale Oppositionelle in den letzten vier Jahren beschäftigt. Mit was sie sich nicht beschäftigt haben, war es, die Opposition halbwegs zu einen und vernünftige Kandidaten und Kandidatinnen für nach einem Regimechange zu suchen. Die antiklerikale Opposition ist so zerstritten wie eh und je, hinzu kommt noch etwas anderes: Wie die iranisch-amerikanische Journalistin und Chefredakteurin von «Independent Persian», Camelia Entekhabifard, in «Ashraq Al-Awsat» schreibt, so hat das Haus Pahlavi, und damit die monarchistisch angehauchte Opposition, schon jetzt ein Problem mit der Nachfolge seiner Hoheit, dem Kronprinzen Reza Pahlavi, der nunmehr auch schon 60 Jahre alt ist. Denn die Verfassung des Königreichs Iran, des Vorgängerstaates dieser Anomalie, die sich Islamische Republik schimpft und doch keine Republik ist, verlangt explizit einen männlichen Thronfolger aus dem Hause Pahlavi, und dieser darf in keinerlei Verwandtschaft mit der Vorgängerdynastie, den Ghajaren/Qajaren, stehen.

Das entwickelt sich immer mehr zum Problem, denn seine königliche Hoheit, Kronprinz Reza Pahlavi, ist nicht nur nun 60 Jahre alt, er hat auch nur Töchter. D.h. der Kronprinz ist noch nicht mal zurück aus dem Exil und an der Macht, und doch hat man schon hier und heute ein Problem, einen potentiellen Nachfolger für den Pfauenthron zu finden. In halbwegs funktionierenden Staaten wie Dänemark, den Niederlanden und Japan wären solche Nachrichten ein Fall für Klatschmagazine, weil in diesen Staaten Premierminister und Premierministerinnen den Ton angeben und die Monarchen und Monarchinnen nurmehr noch etwas archaische Zeremonienmeister sind. Dies gilt nicht für den Iran. Dort könnte das Ableben seiner Hoheit, dem Kronprinzen, bevor ein neuer Nachfolger installiert werden kann, zu einer effektiven Staatskrise führen, sollte es denn zu einem Regimechange kommen.

Anstatt die verbleibenden Monate der Trump-Administration sinnvoll zu nutzen, auf einen Regimechange hinzuarbeiten und einen möglichen Nachfolger für seine königliche Hoheit, Kronprinz Reza Pahlavi zu suchen, wird die antiklerikale Opposition auch diese Zeit damit beschäftigt sein, sich dem Grössenwahn hinzugeben und nach einem Sündenbock zu suchen, dem man den eigenen Misserfolg in die Schuhe schieben kann.

Denn seien wir ehrlich: Der jetzige Misserfolg ist nicht die Schuld von Alexander dem Grossen, Tamerlan oder Stalin, sondern ganz allein der Unfähigkeit der Opposition zuzuschreiben, die es bis heute nicht alleine schafft, mit dem Regime der Statthalterschaft der Gelehrten fertigzuwerden. Stattdessen steht die antiklerikale Opposition nunmehr am Abgrund, denn nicht nur gab es bisher keinen Regime-Change, es wird auch in Zukunft niemand der antiklerikalen Opposition einen Regimechange auf dem Silbertablett servieren, geschweige denn das persische Reich wiederauferstehen lassen. Vielmehr erdreisten sich mittlerweile Teile der antiklerikalen Opposition, Israel dafür zu kritisieren, dass Menschen wie der Leiter des MOSSAD, Yossi Cohen, angeblich Kontakt zu kurdischen Separatisten unterhalten hat. Warum denn Israel den Iran nicht mehr unterstützen würde, wurde unsereiner gefragt. Vielleicht, war meine Antwort, weil man sich in Jerusalem dieser Tage nicht auf die antiklerikale Opposition verlassen kann und will, und man deshalb neue Allianzen schmieden will.

Ausserdem: Wenn oppositionelle Iraner das Existenzrecht der südkaukasischen Republiken und die territoriale Integrität der Ukraine zur Disposition stellen, so ist es nur Recht, wenn man sich nun fragt, ob es nicht noch andere Alternativen zum Status quo von vor 1979 gibt. Somit es meiner Meinung nach an der Zeit für die antiklerikale Opposition, in den Abgrund zu sehen, Selbstkritik zu üben und zu retten, was noch zu retten ist, anstatt immer und überall die Schuld bei anderen zu suchen. Sonst wird das Regime der Statthalterschaft der Gelehrten auch noch in zehn Jahren da sein.

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