Philipp Ruch und die Kultur der Anderen

Geehrte LeserInnen!

Wie man dieser Woche in der «Jüdischen Allgemeinen» lesen konnte, war der Gründer und bekanntestes Mitglied des sogenannten «Zentrums für politische Schönheit» in den «Philosophischen Salon» der jüdischen Gemeinde von Frankfurt eingeladen. Diese Veranstaltung wurde aufgrund der Covid-19-Krise ins Internet gesendet. Wie immer hatte Herr Ruch dabei Asche auf dem Gesicht, was mich an den Versuch von «Black Facing» denken lässt. Aber item, Philipp Ruch war nicht einfach so im «Philosophischen Salon» zu Gast, sondern um über die berühmt-berüchtigte Säule des «Zentrums für politische Schönheit», in der angeblich die Asche von jüdischen Opfern aus Auschwitz zu finden sei, zu sprechen.

In meinen Augen wäre Philipp Ruch nicht der, der er nunmal ist, wenn er nicht auch diese Einladung dazu benutzt hätte, sich selber und das «Zentrum für politische Schönheit» zu inszenieren. Davon zeugt der Fakt, dass Herr Ruch die Werke seines Zentrums praktisch im selben Atemzug mit dem Kniefall von Willy Brandt in Warschau praktisch genannt hat.

Machen wir uns nichts vor: Ich verachte Philipp Ruch und davon auszugehen, dsas Asche von jüdischen Ermordeten zu verwenden schon okay ist, weil ein paar säkulare Juden kein Problem damit haben, kremiert zu werden, ist absolut übergriffig. Die jüdischen Opfer der Shoa haben Herrn Ruch nicht darum gebeten sie in irgendeiner Form zu repräsentieren. Nota bene, und das sage ich als Jüdin, die sich der Masorti-Bewegung zugehörig fühlt, ist es auch übergriffig, wenn man als Nicht-Jude Orthodoxen pauschal Aufgeklärtheit abspricht. Dies steht einem Philipp Ruch schlicht nicht zu. Es steht einem Philipp Ruch auch nicht zu zu entscheiden, was mit den Überresten von toten Juden geschieht.

Aber ich bin, leider, nicht im geringsten überrascht vom Verhalten eines Philipp Ruch. Wiederholungstäter, wie meiner Ansicht nach Philipp Ruch einer ist, sind Überzeugungstäter. Den Holocaust und seine Opfer für die eigene Eitelkeit auszubeuten, ist allerdings schon ein starkes Stück. Aber Philipp Ruch hat in den ganzen Jahren vorgearbeitet. Man erinnere sich nur Philipp Ruchs Aktion «Schweiz entköppeln» von 2016, in der er einen kamerunischen Voodoo-Priester engagierte, damit dieser einen Exorzismus an Roger Köppel, dem Herausgeber und Chef-Redakteur der «Weltwoche» und Nationalrat, durchführen könnte, weil Philipp Ruch allen Ernstes Roger Köppel attestiert hat, vom Geist Julius Streichers besessen zu sein.

Dabei wurde, die Weltanschaung eines afrikanischen Mannes für eine Aktion des «Zentrums für politische Schönheit»zur Schau gestellt und lächerlich gemacht. Denn säkularisierten Mitteleuropäern ist klar, dass Roger Köppel nicht vom Geist von Julius Streicher besessen ist. Trotzdem so eine Aktion durchzuführen, zeigt davon, wie wenig Respekt man von den religiösen Überzeugungen des Voodoo-Priesters aus Kamerun und von Roger Köppel hat. Für den Voodoo-Priester ist sein Ritual eine ernsthafte Angelegenheit, er glaubt an die Gebote und Rituale seiner Religion, sonst würde er sie ja nicht praktizieren. Für Herrn Köppel, der, wie ich annehme, wie die meisten Zürcher, ein säkularer Protestant ist, ist ein solches Ritual nicht nur lästig, sondern kann, auch gegen seine eigenen religiösen Überzeugungen sein.

Aber das alles hat Philipp Ruch nicht gekümmert und auch bei seiner, meiner Meinung nach, absolut widerlichen Säulen-Aktion war ihm wieder herzlich egal, dass er seine «politische Konzeptkunst» auf dem Rücken jener durchführt, die gelitten haben und gestorben sind und der Angehörigen dieser Menschen. Philipp Ruch, ein in der untergegangenen DDR sozialisierter, weisser Mann benutzt schwarze Menschen und tote Juden für seine «politische Konzeptkunst».

Das ist die wahre Tragödie. Dass im 21. Jahrhundert, trotz der Tatsache, dass immer noch Antisemiten verschiedener Couleur ihr Mütchen am Juden kühlen möchten und unsere Synagogen und andere jüdische Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen rund um die Uhr bewacht und mit Panzerglas gesichert werden müssen, man selbst unsere Toten für «seine Kunst» benutzen möchte. Als ob wir nicht schon genug gelitten hätten.

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Das antisemitische Ressentiment – Ein Erfahrungsbericht

Geehrte LeserInnen!

Immer wenn ich über meine Erfahrungen mit Antisemitismus und dem antisemitischen Ressentiment erzähle, kommen irgendwelche Menschen, die Antisemitismus nicht verstehen und diesen deshalb aus Ignoranz oder eben aus tiefsitzendem, antisemitischen Ressentiment, relativieren wollen. Deshalb schreibe ich in diesem Beitrag über ganz konkrete Beispiele, die ich, als junge, bisexuelle Jüdin in Mitteleuropa erlebt habe.

Das erste Beispiel handelt von einer Therapeutin, die ich einmal hatte und die  Antisemitismus nicht verstanden hat. Sie ist Ungarin und meinte, wir Juden seien schuld an Antisemitismus. Sie meinte auch allen erstens, dass Juden während des Kadar-Regimes, dem sie auch attestiert, hat Jude* zu sein, in Esztergom in den Kirchen satanische Rituale durchgeführt und dabei Orgien gefeiert, Hostienschändungen und Ritualmorde betrieben hätten. Darüber wollte sie dann mit mir reden und nicht über die Themen, die mich eigentlich bewegten. Ich litt extrem darunter, musste mich nach den Terminen bei ihr teilweise in den Schlaf weinen und fühlte mich allgemein extrem gestresst. Erst als ich aufgrund einer Magen-Darm-Grippe einen Termin bei ihr absagte, begann ich mich psychisch besser zu fühlen und nach dem ich gesundet war, beschloss ich, nie wieder zu dieser Therapeutin zu gehen. Das half enorm und meine Schlafstörungen, die ich davor mit weissem «Martini» und einem Baldrian-Präparat selbst behandelte, weil sich die Therapeutin weigerte, mir ein Rezept zu verschreiben, verschwanden wie durch ein Wunder.

Mein zweites Beispiel handelt von meiner Arbeit: Wie Sie vielleicht wissen, geehrte LeserInnen, arbeite ich in meinem Brotjob in einer Buchhandlung, in der wir viele Studenten der Geisteswissenschaften als Kunden haben. Auch die beiden, von denen die folgende Anekdote handelt, sind Studenten: Eines schönen Tages standen zwei Studierende, eine junge Frau und ein Mann, verwirrt vor dem Regal mit den Reclam-Büchlein, welche wir alphabetisch geordnet haben. Sie suchten etwas aus dem T-Bereich, rechts unten. Dies war für mich das Zeichen, mich vor besagtem Regal hinzuknien und den beiden Studenten ihr gewünschtes Büchlein zu reichen. Dabei verspürte ich plötzlich, wie an meinen Haaren gezogen wurde. Zuerst dachte ich, dass ich mich irgendwo eingeklemmt hätte, da ich ein ziemlicher Tollpatsch sein kann. Dem war nicht so, denn als ich mich fluchend aufrichtete, sagte die Studentin mir, dass ich nicht so ein Theater machen solle, sie hätte von meinem Arbeitskollegen gehört, dass ich Jüdin sei und nun hätten ihr Freund und sie nachsehen wollen, ob ich eine Perücke trage. Dies war für mich erst recht ein Grund, wütend zu werden und nur drohende Angst vor einer Kündigung hinderte mich daran, diese beiden anzuschreien. So tat ich, was zu tun war, schluckte meine Wut herrunter und bediente die beiden fertig.

Ein anderes Beispiel für Antisemitismus, der mir an meinem Arbeitsplatz begegnete, ist die folgende Begebenheit: Während der Präsidentschaftswahlen in den USA musste ich in der Buchhandlung ein ziemlich demütigendes Gespräch mit einem renitenten Kunden führen, der meinte, dass der amerikanische Politiker Ted Cruz aufgrund seiner Nase Jude sein muss. Als ich dieser Meinung widersprach, meinte besagter Kunde, ich müsse Cruz nicht in Schutz nehmen, nur weil Ted Cruz und ich Juden seien. Des weiteren hätten Cruz und ich die gleiche Nase. Er liess sich nicht von der Theorie abbringen, dass Ted Cruz, der übrigens sehr offensiv mit seinem christlichen Glauben umgeht, aufgrund seines Aussehens, genauer seiner Nase, Jude sein muss.

Was die «jüdische Nase» angeht: Das ist der Modus operandi von Menschen hier, denen ihr antisemitisches Ressentiment nicht bewusst ist und die deshalb antisemitische Stereotype abladen, sofern sofern bei jemanden auch nur entfernt Jüdisches erblicken. Dies geht nicht nur mir so, denn auch der Schriftsteller Thomas Meyer berichtet darüber in der «Jüdischen Allgemeinen», dass ihm konstant eine «jüdische Nase» attestiert wird. Hätte ich jedes Mal, wenn ich mir sowas anhören musste, entweder 1 CHF oder 1 EUR bekommen, ich hätte den Nosejob schon lange hinter mir.

Spass beiseite: Dieses tiefsitzende antisemitische Ressentiment ist ein ernsthaftes Problem und führt dazu, dass nicht nur Antisemitismus ignoriert und relativiert wird, sondern auch uns Juden dadurch jegliche Hilfestellungen verweigert wird und wir Juden deshalb oft auf weiter Flur alleine gegen Antisemitismus kämpfen müssen. Schlicht und ergreifend deshalb, weil denen, die ein tiefsitzendes, antisemitisches Ressentiment haben, ihr antisemitisches Ressentiment nicht bewusst ist und sie deshalb mit ihrem Antisemitismus hausieren gehen, wie Handelsvertreter mit ihrer Ware. Solange aber das antisemitische Ressentiment weiterhin existiert, ist der Kampf gegen offenen Antisemitismus schwierig, denn der Antisemitismus wird dann nicht wahrgenommen oder relativiert. Darum bedeutet ein effektiver Kampf gegen Antisemitismus auch den Kampf gegen das antisemitische Ressentiment.

 

*Ja, sie meinte explizit Janos Kadar und nicht Bela Kun, sie dachte alle Marxisten und Kommunisten, inklusive Stalin, seien Krypto-Juden gewesen.

 

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