Das antisemitische Ressentiment – Ein Erfahrungsbericht

Geehrte LeserInnen!

Immer wenn ich über meine Erfahrungen mit Antisemitismus und dem antisemitischen Ressentiment erzähle, kommen irgendwelche Menschen, die Antisemitismus nicht verstehen und diesen deshalb aus Ignoranz oder eben aus tiefsitzendem, antisemitischen Ressentiment, relativieren wollen. Deshalb schreibe ich in diesem Beitrag über ganz konkrete Beispiele, die ich, als junge, bisexuelle Jüdin in Mitteleuropa erlebt habe.

Das erste Beispiel handelt von einer Therapeutin, die ich einmal hatte und die  Antisemitismus nicht verstanden hat. Sie ist Ungarin und meinte, wir Juden seien schuld an Antisemitismus. Sie meinte auch allen erstens, dass Juden während des Kadar-Regimes, dem sie auch attestiert, hat Jude* zu sein, in Esztergom in den Kirchen satanische Rituale durchgeführt und dabei Orgien gefeiert, Hostienschändungen und Ritualmorde betrieben hätten. Darüber wollte sie dann mit mir reden und nicht über die Themen, die mich eigentlich bewegten. Ich litt extrem darunter, musste mich nach den Terminen bei ihr teilweise in den Schlaf weinen und fühlte mich allgemein extrem gestresst. Erst als ich aufgrund einer Magen-Darm-Grippe einen Termin bei ihr absagte, begann ich mich psychisch besser zu fühlen und nach dem ich gesundet war, beschloss ich, nie wieder zu dieser Therapeutin zu gehen. Das half enorm und meine Schlafstörungen, die ich davor mit weissem «Martini» und einem Baldrian-Präparat selbst behandelte, weil sich die Therapeutin weigerte, mir ein Rezept zu verschreiben, verschwanden wie durch ein Wunder.

Mein zweites Beispiel handelt von meiner Arbeit: Wie Sie vielleicht wissen, geehrte LeserInnen, arbeite ich in meinem Brotjob in einer Buchhandlung, in der wir viele Studenten der Geisteswissenschaften als Kunden haben. Auch die beiden, von denen die folgende Anekdote handelt, sind Studenten: Eines schönen Tages standen zwei Studierende, eine junge Frau und ein Mann, verwirrt vor dem Regal mit den Reclam-Büchlein, welche wir alphabetisch geordnet haben. Sie suchten etwas aus dem T-Bereich, rechts unten. Dies war für mich das Zeichen, mich vor besagtem Regal hinzuknien und den beiden Studenten ihr gewünschtes Büchlein zu reichen. Dabei verspürte ich plötzlich, wie an meinen Haaren gezogen wurde. Zuerst dachte ich, dass ich mich irgendwo eingeklemmt hätte, da ich ein ziemlicher Tollpatsch sein kann. Dem war nicht so, denn als ich mich fluchend aufrichtete, sagte die Studentin mir, dass ich nicht so ein Theater machen solle, sie hätte von meinem Arbeitskollegen gehört, dass ich Jüdin sei und nun hätten ihr Freund und sie nachsehen wollen, ob ich eine Perücke trage. Dies war für mich erst recht ein Grund, wütend zu werden und nur drohende Angst vor einer Kündigung hinderte mich daran, diese beiden anzuschreien. So tat ich, was zu tun war, schluckte meine Wut herrunter und bediente die beiden fertig.

Ein anderes Beispiel für Antisemitismus, der mir an meinem Arbeitsplatz begegnete, ist die folgende Begebenheit: Während der Präsidentschaftswahlen in den USA musste ich in der Buchhandlung ein ziemlich demütigendes Gespräch mit einem renitenten Kunden führen, der meinte, dass der amerikanische Politiker Ted Cruz aufgrund seiner Nase Jude sein muss. Als ich dieser Meinung widersprach, meinte besagter Kunde, ich müsse Cruz nicht in Schutz nehmen, nur weil Ted Cruz und ich Juden seien. Des weiteren hätten Cruz und ich die gleiche Nase. Er liess sich nicht von der Theorie abbringen, dass Ted Cruz, der übrigens sehr offensiv mit seinem christlichen Glauben umgeht, aufgrund seines Aussehens, genauer seiner Nase, Jude sein muss.

Was die «jüdische Nase» angeht: Das ist der Modus operandi von Menschen hier, denen ihr antisemitisches Ressentiment nicht bewusst ist und die deshalb antisemitische Stereotype abladen, sofern sofern bei jemanden auch nur entfernt Jüdisches erblicken. Dies geht nicht nur mir so, denn auch der Schriftsteller Thomas Meyer berichtet darüber in der «Jüdischen Allgemeinen», dass ihm konstant eine «jüdische Nase» attestiert wird. Hätte ich jedes Mal, wenn ich mir sowas anhören musste, entweder 1 CHF oder 1 EUR bekommen, ich hätte den Nosejob schon lange hinter mir.

Spass beiseite: Dieses tiefsitzende antisemitische Ressentiment ist ein ernsthaftes Problem und führt dazu, dass nicht nur Antisemitismus ignoriert und relativiert wird, sondern auch uns Juden dadurch jegliche Hilfestellungen verweigert wird und wir Juden deshalb oft auf weiter Flur alleine gegen Antisemitismus kämpfen müssen. Schlicht und ergreifend deshalb, weil denen, die ein tiefsitzendes, antisemitisches Ressentiment haben, ihr antisemitisches Ressentiment nicht bewusst ist und sie deshalb mit ihrem Antisemitismus hausieren gehen, wie Handelsvertreter mit ihrer Ware. Solange aber das antisemitische Ressentiment weiterhin existiert, ist der Kampf gegen offenen Antisemitismus schwierig, denn der Antisemitismus wird dann nicht wahrgenommen oder relativiert. Darum bedeutet ein effektiver Kampf gegen Antisemitismus auch den Kampf gegen das antisemitische Ressentiment.

 

*Ja, sie meinte explizit Janos Kadar und nicht Bela Kun, sie dachte alle Marxisten und Kommunisten, inklusive Stalin, seien Krypto-Juden gewesen.

 

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Davos und der Antisemitismus – Bekenntnisse einer Europäerin zweiter Klasse

Kürzlich gab es in Davos, das ist in der Schweiz, eine Thora-Einweihung, bei der viele orthodoxe Juden anwesend waren, und weil es eine Prozession war, bei der gesungen, getanzt wurde und Freude herrschte, wurde für eine Weile die Hauptstrasse blockiert. Dies sorgte bei einigen Davosern für Unmut, dem sie sich mit Kommentaren Luft machten wie: «Wir sind doch nicht in Israel. Wir sind in der Schweiz». Oder «Unsere Heimat ist verloren.» Diese Reaktion überrascht mich nicht. Die Leute haben nichts gegen Juden, d.h. nichts gegen Juden, die jüdisch aussehen (wie ein Jude aussieht bestimmen allerdings Nicht-Juden, mir wird zum Beispiel attestiert, eine jüdische Nase zu haben.). Allerdings soll der Jude nicht praktizierend sein, insbesondere «kein koscheres Fleisch, denn das sei Tierquälerei“. Die Leute haben nichts gegen Juden, ausser die Juden sind nun einmal da, verhalten sich nicht so, wie die Leute wollen und haben auch noch die Unverschämtheit, diese «Chuzpe», frei rumzulaufen und mal für einen Anlass, für kurze Zeit, die Hauptstrasse zu blockieren.

Dies wiederum führt dazu, dass das antisemitische Ressentiment aktiviert wird, das in vielen unbewusst schlummert. Denn wären irgendwelche Schwinger durchs Dorf gezogen und hätten dabei die Hauptstrasse blockiert, wäre die Reaktion eine andere gewesen, da bin ich mir sicher. An Juden fühlt man sich berechtigt, sein Mütchen abzukühlen, uns zu erziehen, weil wir ja bekanntermassen so grausam und primitiv sind, den Tieren gegenüber wie den Arabern, ach was, gegenüber den Muslimen, den Nicht-Juden allgemein.

Rituale und Praktiken, die wir Juden seit Jahrhunderten, auch in Europa, praktizieren, werden zur Desposition gestellt. Das zeigt mir, dass wir Juden für viele, bestenfalls, geduldete Fremde sind. Fremde, die alles erdulden müssen, denn zum Erdulden sind wir da. Und wenn man genug von unserer Präsenz hat, dann vertreibt man uns, hat schliesslich schon während der «Reconquista» geklappt. Wenn wir Juden uns dann erdreisten und versuchen zurückzukehren, verunmöglicht man uns das, wie man jetzt bei der Affäre sieht um die Juden, die während der Nazizeit nach Grossbritannien fliehen mussten und nun Deutsche werden wollen. Sie berufen sich dabei auf das Grundgesetz, aber die deutschen Behörden lehnen das meist ab. In dem man zum Beispiel immer noch jüdische Frauen, die Briten geheiratet haben, und deren Nachkommen nicht diskriminiert. Denn er war die ganze Zeit da und hat sich nur versteckt und Nein, ich rede hier nicht von Hitler. Ich rede hier von Antisemitismus. Ja, ich bin mir bewusst, dass diese Feststellung mich nicht gerade beliebt machen wird. Aber es ist eine offensichtliche Tatsache und es ist auch Tatsache, dass Antisemitismus eine bequeme Art der Diskriminierung ist, die in Europa Tradition hat, wie die Beispiele aus der Schweiz und aus Deutschland zeigen. Obwohl es sehr unwahrscheinlich ist, dass Juden einen Lkw kapern, um in einen Weihnachtsmarkt zu fahren, um dort Nicht-Juden zu ermorden.

Dieser Antisemitismus ist es auch, der mich manchmal wie eine Europäerin zweiter Klasse fühlen lässt, deren Präsenz von der Mehrheitsgesellschaft oft nur geduldet und manches Mal in Frage gestellt wird. Das, obwohl ich die Staatsbürgerschaft der Schweiz habe, hier geboren wurde, Steuern zahle, wähle und, ganz offensichtlich, eine der vier Landessprachen, fliessend beherrsche. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Dieses Gefühl ist keine neues Gefühl, sondern ein leider allzu vertrautes und leider bin ich auch nicht die erste Jüdin, die so denkt und fühlt. Und nein, das ist nicht meine Schuld, dass dem so ist, denn weder waren wir Juden anno dazumal «primitiv», «Brunnenvergifter», «Propheten»- oder «Gottesmörder», noch sind wir das heute. Die Mehrheitsgesellschaft hat sich daran zu gewöhnen, dass wir Juden existieren und so weit wie möglich zu akzeptieren und nicht zu versuchen uns zu erziehen, wie unverschämte Kinder. Um Konrad Adenauer zu zitieren: «Nehmen Sie die Juden, wie sie sind, es gibt keine anderen (mehr)».