Prophylaktische Abbitte

Liebe Ladies und Fellas

Während in Deutschland mit Felix Klein ein Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, d.h. ein Antisemitismusbeauftragter, ernannt wurde, fragte sich James Kirchik im «Atlantic», ob Deutschland willens und fähig ist, seine jüdische Bevölkerung vor antisemitischen Geflüchteten zu beschützen. Nach der Attacke eines wildgewordenen, syrischen Judenhassers auf einen Kippa tragenden Israeli, ist dies keine so abwegige Frage.

Derzeit ist ja primär Symbolpolitik en vogue, wie zum Beispiel eine von den jüdischen Gemeinden organisierten Solidaritätskundgebung, bei welcher Juden und Nicht-Juden, unter Polizeischutz, Kippot trugen. Nun frage ich mich, wie es einem Kippa tragenden Juden, der im Alltag Opfer von Belästigung, verbaler und körperlicher Gewalt wird, nützt, wenn Nicht-Juden bei einer Solidaritätskundgebung unter Polizeischutz Kippot tragen… Ich möchte diese Gedanken mal in den Raum stellen… Hinzu kommt noch, dass die Solidaritätskundgebung, welche, wie oben erwähnt wurde, von den Jüdischen Gemeinden, organisiert wurde, von mehr als zweifelhaften Organisationen, wie JUMA und DITIB, deren übrigens Ex-Funktionär Bekir Alboga für die AKP kandidiert, zur Profilierung genutzt wurde. Alles in allem sind solche Veranstaltungen, wie die oben erwähnte Solidaritätskundgebung nur Symbolpolitik, welche nichts oder wenig kostet. Unteranderem kosten solche Veranstaltung so wenig, weil wie der grossartige Cem Özdemir richtig bemerkte, diese von Solidaritätskundgebung von der Jüdischen Gemeinde organisiert werden und nicht der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft. Die nicht-jüdische Mehrheitsgesellschaft merkt oft also nicht, was für ein Aufwand und welche Kosten dahinterstecken. Und weil dem so ist, kann man es sich leisten in Symbolpolitik zu schwelgen und zum Beispiel einen Klezmer-Abend besuchen, währenddessen werden in Berlin Grundschülerinnen bedroht, weil sie nicht an Allah glauben und jüdische Kinder allgemein in jüdische Schulen geschickt werden, weil öffentliche Schulen immer mehr vor der antisemitischen Flut kapitulieren.

Weil dies bei manchen Leuten zu einer Art Erleuchtung führt und sie einsehen, dass Antisemitismus immer mehr zunimmt, sie aber effektiv weder willens noch fähig sind dagegen vorzugehen, leistet man lieber mit noch mehr prophylaktische Abbitte durch Symbolpolitik, um danach sagen zu können, man hätte ja doch was gemacht und man hätte es nur gut gemeint. Doch war der Weg zur Hölle schon immer mit guten Absichten gepflastert und deshalb wird diese Symbolpolitik uns nicht weiterbringen. Weder die Ernennung von Herr Klein zum sogenannten Antisemitismusbeauftragten, noch weitere Solidaritätskundgebungen, welche von der Jüdischen Gemeinde organisiert werden. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass bis heute keine einzige Empfehlung des Expertenkreises Antisemitismus umgesetzt wurde. Stattdessen debattiert man weiterhin darüber was man machen könnte, tut aber nichts, ausser prophylaktisch Abbitte zu leisten durch Symbolpolitik.

Summa summarum: Das jetzige Engagement gegen Antisemitismus ist, in meinen Augen, ein einziges Versäumnis. Wäre dem nicht so, wären wir, als Gesellschaft schon weiter, als mit prophylaktischer Abbitte durch Symbolpolitik, das Gewissen der nicht-jüdischen Mehrheit zu beruhigen, während der Antisemitismus weiterhin wächst und gedeiht.

Warum es keinen Antisemitismusbeauftragten braucht/ Eine Polemik

Liebe Ladies und Fellas

Mit der Ernennung des Karrierediplomaten Felix Klein zum Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, d.h. unteranderem zum Antisemitismusbeauftragten, gehen die Wellen hoch im Feuilleton und es wird darüber debattiert, was im Kampf gegen Antisemitismus getan werden müsse und ob die Statistiken die Feindschaft gegen uns Juden korrekt wiedergeben. Dazu möchte ich anmerken, dass man sich dieser Debatte hier und heute nicht stellen müsste, wenn man sich ansehen würde, was bisher im Kampf gegen Antisemitismus versäumt wurde, zum Beispiel wurde bis her keine einzige Empfehlung des Expertenkreises Antisemitismus umgesetzt.

Nun wird ein Amt geschaffen, dass ich, als nicht-deutsche Jüdin, die NICHT in Deutschland lebt, als Verschwendung von Ressourcen und Steuergeldern ansehe. Dies ist kein persönlicher Angriff gegen Herr Felix Klein, der sicher seine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen versuchen wird auszuführen. Auch bin ich der Ansicht, dass Nicht-Juden, welche für die Schaffung dieses Amtes waren, absolut wohlmeinend gegenüber meinem Völkchen waren und genau hier liegt der Hund begraben: Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert. Es braucht keinen Antisemitismusbeauftragen, um zu sehen, dass der Angriff auf den Kippa tragenden Israeli in Prenzlauer Berg antisemitisch motiviert war, es braucht keinen Antisemitismusbeauftragten, um zu erkennen das Antisemitismus zunimmt, wenn Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland den Juden in Deutschland dazu rät in der Öffentlichkeit keine Kippot zu tragen und es braucht ganz bestimmt keinen Antisemitismusbeauftragten, wenn man uns Juden und Organisationen, wie den Zentralrat der Juden in Deutschland ernst nehmen würde und uns ansprechen würde, in Bezug auf Antisemitismus. Wir Juden sind, in der Regel, selber gross genug, um unsere Wünsche und Sorgen zu äussern und es nützt übrigens nichts einen Antisemitismusbeauftragten jetzt, für das gute Gewissen einzusetzen, wenn man, wie bei den Empfehlungen des Expertenkreises Antisemitismus, weiterhin untätig bleibt. Es ist meine grösste Sorge, dass die Schaffung dieses Amtes eine Art eine prophylaktische Abbitte ist, um als Zivilgesellschaft, nicht von uns Juden kritisiert werden und zur Verantwortung gezogen zu können. So nach dem Motto: «Was wollt ihr Juden denn noch, ihr habt doch euren Antisemitismusbeauftragten?!?»

Was es meiner Meinung wirklich braucht, im Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland im Besonderen und überall anders im Allgemeinen, wäre, unteranderem, eine zentrale Erfassung von ALLEN antisemitischen Straftaten, dass man uns Juden endlich in Bezug auf Antisemitismus ernst nimmt und unsere Sorgen und Probleme nicht als Gejammer abtut und das man anfängt die Empfehlungen des Expertenkreise Antisemitismus umzusetzen. Für irgendwas hat man besagten Expertenkreis engagiert, oder etwa nicht?! Ach, was ich mir wirklich sehr wünsche, wäre mehr zivilgesellschaftliches Engagement von der nicht-jüdischen Mehrheit im Kampf gegen Antisemitismus. Es kränkt und erniedrigt mich wirklich sehr, wenn ich sehe, wie wir Juden Demonstrationen gegen Antisemitismus organisieren müssen, weil es sonst keiner tun würde. Wie gesagt, es bräuchte keinen Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, wenn die nicht-jüdische Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland mehr für jüdisches Leben in Deutschland und im Kampf gegen Antisemitismus tun würde, anstatt über solche Bürokratenposten, wie den von Felix Klein prophylaktisch Abbitte zu leisten und so den Kampf gegen Antisemitismus wieder zu uns Juden und zu irgendwelchen Apparatschiki zu delegieren. Etwas mehr gesellschaftliches Engagement darf man, als Jude/ Jüdin in Europa doch noch erwarten von der nicht-jüdischen Mehrheit, besonders wenn man bedenkt, für wie liberal, aufgeklärt und weltoffen man sich hier in Europa hält.