Nachtrag zum Karnevalsumzug in Aalst

Geehrte LeserInnen!

Was soll man noch sagen oder schreiben?! Wie zu erwarten, hat es beim Karnevalsumzug in Aalst wieder antisemitische Darstellungen von Juden gegeben. Man hat sich in Aalst gar selber übertroffen und dieses Jahr uns Juden als Ungeziefer/Insekten dargestellt, ausserdem waren unter anderem Karikaturen orthodoxer Juden, zwischen denen Goldbarren liegen, zu sehen. Und der Bürgermeister von Aalst weigert sich immer noch brave Karnevalisten als Antisemiten auszugrenzen, denn man würde damit ja nicht den Holocaust verunglimpfen, als ob alles, was kein Genozid an Juden ist, nicht antisemitisch sein kann.

Aber auch das war zu erwarten, denn Wiederholungstäter sind Überzeugungstäter. Es ist zum Heulen! Im Jahr 2020 werden wir Juden mitten in Europa zum Spass öffentlich als Ungeziefer dargestellt und gedemütigt. Und da kommen die Relativierer wieder aus ihren Löchern gekrochen und fordern uns Juden auf, wie viele andere Nicht-Juden dies mit Humor zu nehmen, weil dies ja eine europäische Tradition sei und wir Juden eben lernen müssten mit diesen Spannungen zu leben. Oder man vergleicht gar jahrhunderte alte antisemitische Stereotype mit Karnevalssujets, bei denen islamischer Terrorismus aufs Korn genommen wird. Während beim letztgenannten Taten von Muslimen karikiert werden, wurden wir Juden dieses Jahr in Aalst komplett entschmenschlicht, denn Entmenschlichung ist das Ziel wenn man uns Juden als Ungeziefer porträtiert, und Entmenschlichung kann und darf man nicht mit Humor nehmen. Denn sonst wird es ein böses Ende nehmen, dazu muss man nicht mal zu Vergleichen mit dem Holocaust greifen. Ruanda als Erinnerung sollte da vollkommen ausreichen.

Was es aber nicht tut, denn es gibt keine Proteste, die nicht-jüdische Zivilgesellschaft hat in diesem Fall, meiner Ansicht nach, vollkommen versagt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass in einem Klima, in dem solch ein antisemitisches Schaulaufen bestenfalls, Gleichgültigkeit erntet, Judenhass wächst und gedeiht wie Unkraut. Schlicht und ergreifend deshalb, weil ausser uns Juden sich niemand wegen Antisemitismus ernsthafte Sorgen macht und dagegen etwas Konkretes unternimmt. Es fällt mir schwer, diese, für mich geradezu surreale Situation, in Worte zu fassen. Trotzdem ist es aber bittere Notwendigkeit, obwohl es mich als Jüdin ankotzt, mich damit auseinandersetzen zu müssen, denn wie gesagt, werden wir Juden im Kampf gegen Antisemitismus fast vollkommen alleine gelassen. Dies ist beschämend für die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft und gefährlich für uns Juden. Trotz der Tatsache, das wir Juden ganz bestimmt nicht noch mehr Gefahrem in unserem Leben brauchen. Denn es ist nuneinmal Fakt, dass Antisemitismus seit Jahren zunimmt, auch und gerade in Belgien, wie das Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel und der Karnevalsumzug in Aalst gezeigt haben.

Das alles zeigt, dass die Gefahr für uns Juden nicht nur von Antisemiten selber, sondern auch von der Gleichgültigkeit der Gesellschaft ausgeht, und genau das ist es, was mir Sorgen bereitet. Denn wie der grosse Martin Luther King einst sagte: «Am Ende werden wir uns nicht an die Worte unserer Feinde erinnern, sondern an das Schweigen unserer Freunde.» D.h., dass sich Antisemiten judenfeindlich verhalten, ist nicht verwunderlich, darum sind sie ja Antisemiten, weil sie eben Judenfeinde sind. Dass die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft nichts tut, ist die eigentliche Tragödie und zeigt, dass die ganze, mantrahafte Wiederholung von «Nie Wieder» nichts als Rhetorik ist, denn viele Nicht-Juden haben offenbar nicht die richtigen Schlüsse aus der Geschichte gezogen.

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«Heutige Standards» und der Karneval von Aalst

Geehrte LeserInnen!

Dieser Tage las ich ein Interview auf der Website des «Deutschlandfunk» mit dem Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, der der Meinung ist, dass man die «Judensau» zu Wittenberg weiterhin im Kirchenrelief lassen soll, als Denkmal, dass der «heutige Standard» keine Selbstverständlichkeit ist und weil man als Jude mit den «Spannungen leben» lernen muss. Herr Kaufmann meint wohl, dass es uns Juden im Vergleich zu damals gut geht. Nun ja, dazu muss ich sagen, dass es uns Juden im Vergleich zu damals besser geht, allerdings ist der Vergleich etwas schief, wenn man das 21. Jahrhundert mit dem 15/16 Jahrhundert vergleichen will, einer Zeit, in der Menschen wegen Ketzerei und Häresie umgebracht wurden und Pogrome Alltag waren, denn selbst heute noch wächst und gedeiht der Antisemitismus und der «heutige Standard» ist alles andere als berauschend, wenn man jüdisch ist. Wie zum Beispiel Attentate wie die Halle und Toulouse bewiesen haben, als ein rechtsextremer beziehungsweise islamistischer Attentäter unsere Kinder in einer jüdischen Schule respektive uns Juden beim Gebet am heiligsten Tag im jüdischen Kalender ermorden wollte. Noch immer müssen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen wie Schulen, mitten in Europa rund um die Uhr bewacht werden wegen Antisemiten, die uns Juden, aus ihrem ureigenen Wahn heraus, meucheln wollen.

Aber der Antisemitismus dieser Tage beschränkt sich nicht nur aufs Judenmeucheln. Nein, manche Antisemiten wollen Juden primär demütigen, wie die Karnevalisten in der belgischen Stadt Aalst, die deshalb berühmt-berüchtigt wurde, weil schon letztes Jahr zum Karneval ein Karnevalswagen mit antisemitischen Stereotypen, sprich Juden mit Hakennasen, die auf Geldsäcken sitzen, gestaltet wurde. Diese Karnevalisten wollen dies wieder machen und bekommen dafür moralische Unterstützung vom Bürgermeister von Aalst, der von «künstlerischer Freiheit» fabuliert und uns Juden auffordert, wie viele andere Nicht-Juden, es mit Humor zu  nehmen. Schliesslich sei halt Karneval/Fastnacht/Fasching und das gehöre zu den europäischen Traditionen. Wissen Sie, was auch europäische Traditionen gewesen sind? Das Verbrennen von vermeintlichen Ketzern und Hexen auf dem Scheiterhaufen und Osterpogrome, d.h. Pogrome zu Osterzeit, weil die lieben christlichen Mitbürger von den Kirchen aufgehetzt ihr Mütchen an uns Juden kühlen wollten, wegen dem vermeintlichen Deizid von Jesus  durch uns Juden. Ich hoffe doch sehr, dass kein vernunftbegabter Mensch diese Traditionen vermisst oder insgeheim hofft, diese Traditionen wiederbeleben zu können.

Was das antisemitische Relief der Kirche in Wittenberg angeht, so bleibe ich bei meiner Meinung: Das Ding gehört in ein Museum, denn in einer Welt in der Antisemitismus wächst und gedeiht wie Unkraut, braucht es weniger öffentlich zur Schau gestellte antisemitische Propaganda. Weil antisemitische Propaganda gefährlich ist und weil die Verbreitung von rassistischen und antisemitischen Stereotypen ihre Wirkung zeigen.

Mir wurde zum Beispiel oft von Nicht-Juden attestiert, eine „jüdische Nase“ zu haben. Weil der heutige Standard, der Status quo, aus jüdischer Sicht ungenügend ist und weiterhin eine Vogel-Strauss-Politik in Bezug auf Antisemitismus nicht zielführend ist. Denn wenn man weiterhin Antisemitismus ignoriert, wird es für uns Juden irgendwann zu gefährlich, hier zu leben. Des Weiteren sagt eine Zurschaustellung von antisemitischer Propaganda wie in Wittenberg und Aalst uns Juden auch das Folgende: «Wir haben euch Juden schon mal gedemütigt und ermordet, wir können das wieder tun.» Darum ist es wichtig, dass man Antisemitismus effektiv bekämpft und sowohl von Symbolpolitik ablässt, als auch keine Relativierung antisemitischer Propaganda und antisemitischer Taten betreibt. Das sage ich nicht aus Panikmache, sondern weil es mich die Geschichte gelehrt hat.

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