Antisemitismus und die Krise des Denkens

Geehrte LeserInnen!

Zuallererst will ich Ihnen allen Chag Pessah sameah, frohe Ostern und allgemein frohe Feiertage wünschen!

Als nächstes muss ich, wieder einmal, über wachsenden Antisemitismus schreiben, denn wie verschiedene Medien berichtet haben, gibt es immer mehr antisemitische Straftaten weltweit. Ich weiss, ich bin das Thema auch leid und würde lieber Schlagzeilen lesen, wie «Antisemitismus ist weltweit auf dem Rückzug – Die neue sudanesische Präsidentin beglückwünscht Israel zum Unabhängigkeitstag». Aber die Realität ist nunmal, auch aufgrund der Covid-19-Krise, eine andere. Das Tragische ist, dass der Antisemitismus keine Krise, ausser einer Krise des Denkens, braucht um zu wachsen.

Jetzt aber, auch aufgrund der Krise, wächst und gedeiht Antisemitismus wie Unkraut. Nicht nur verbreiten Rechtsextreme und Islamisten und Fanatiker unterschiedlicher Couleur uralte Vorurteile, wie ARD extra in «Die Corona-Lage» berichtet hat, über Jüdinnen und Juden. Ihre Agitation fällt auf fruchtbaren Boden und dies führt dazu, dass die Hassverbrechen gegenüber uns Juden und allem vermeintlich Jüdischem ansteigen.

Dies ist ein Trend, der sich, leider, seit Jahren beobachten lässt und durch die Covid-19-Krise nochmals angefeuert wird. Denn allen Fakten zum Trotz, nämlich das zum Beispiel Covid-19 wie auch SARS davor aus China stammt, können Antisemiten und jene Menschen, die aufgrund eines tiefvorhandenen antisemitischen Ressentiments für antisemitische Denke empfänglich sind, nicht davon überzeugt werden, dass wir Juden nichts mit Covid-19 zu tun haben. Es ist wie damals bei der Pest und den dazugehörigen Pest-Pogromen. Nur habe ich früher effektiv gehofft, dass die Menschen weiter sind, immerhin leben wir in einer Zeit, in der man Smartphones hat und davon redet, den Mars zu kolonialisieren, und nicht davon, die Nachbairn als Hexe zu verbrennen, weil diese garstige grüne Smoothies aus Sellerie zubereitet. Aber ich wurde eines besseren belehrt und während die Nachbarin weiterhin widerliche Smoothies aus Sellerie und Algen zubereiten darf, ohne auf dem Scheiterhaufen zu enden, müssen wir Juden schon seit Jahren, in Deutschland seit 1972, hinter Panzerglas beten und widerliche antisemitische Verschwörungstheorien feiern Urstände wie zum Beispiel die von uns Juden als Brunnenvergifter und Verseucher der Erde, früher durch die Pest, heute durch Covid-19, oder auch Ritualmorde, wie das Werk von Giovanni Gasparo zeigt, über den ich schon früher hier berichtet habe. Das ist so unglaublich das für viele Nicht-Juden klingt, unsere Normalität.

Weil es eben Menschen gibt wie Stephan Baillet, das ist der Attentäter von Halle, der uns Juden an Yom Kippur, dem heiligsten Tag im jüdischen Kalender, meucheln wollte. Aber die Attitüde der Mehrheitsgesellschaft ist immer noch die gleiche: Man nimmt Antisemitismus nicht ernst und relativiert die Ängste von uns Juden, weil man eben selber nicht von Antisemitismus betroffen ist. Stattdessen verbreitet man, im schlimmsten Fall, selber noch antisemitische Verschwörungstheorien und hetzt damit das Elend weiter an. Was sich dann in einer Zunahme von antisemitischen Hassverbrechen und der weiteren Verbreitung von antisemitischen Ressentiments manifestiert. Und so lange diese antisemitischen Ressentiments weiterhin innerhalb der Bevölkerung zirkulieren wie ein Virus, kann man mit weiterhin Attentätern von Kalibern wie Mehdi Nemmouche und Stephan Bailllet rechnen. Denn selbst wenn diese Männer als Einzeltäter gehandelt haben, so haben sie sich nicht im luftleeren Raum ohne Einfluss von aussen radikalisiert. Sie standen, selbst im stillen Kämmerlein am Computer und am Smartphone, unter stetem Einfluss von denen, die auch ihre antisemitische Denkweise geteilt haben, sie wurden von diesen Menschen beeinflusst und ermutigt und sind deshalb am Ende zur Tat geschritten.

So lange antisemitische Ressentiments eine antisemitische Denkweise anfeuern und Menschen sich weiterhin ihre Welt zurechzutbiegen versuchen, anstatt sich der Komplexität der Welt und ihrer Fakten zu stellen, und weiterhin zu einer Krise des Denkens beitragen, werde ich weiterhin solche Beiträge wie diesen hier verfassen müssen. Ich fürchte, dies kann noch lange dauern…

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Der Attentäter von Halle und offene Türen

Geehrte LeserInnen!

Der heutige Text ist wieder ein Quickie. Wie man in der «Frankfurter Allgemeinen» lesen konnte, hat Stephan B., der Attentäter von Halle, ein umfassendes Geständnis abgelegt, in dem er unteranderem, sagte, dass er wünschte, mehr Menschen ermordet zu haben und es tatsächlich auf Juden abgesehen hatte. Welche Überraschung, dass ein Mann, der bewaffnet an Yom Kippur in eine Synagoge einzudringen versucht, Juden meucheln will! Stephan B. scheiterte allerdings an der Synagogen-Türe!

Wir Juden hatten letzten Yom Kippur Glück im Unglück! Denn aufgrund der Ignoranz eines Stephan B., der dachte, dass man einfach an Yom Kippur in eine Synagoge spazieren kann, wie in eine Kirche an Weihnachten und Ostern, wurden wir Juden gerettet. Aber Stephan B. ist nicht alleine, weder mit seinem Antisemitismus noch mit seiner Ignoranz.

In Europa müssen Synagogen und andere jüdische Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen mit Panzerglas und dergleichen geschützt werden, eben aufgrund von Antisemiten, die uns selbst an Yom Kippur meucheln wollen. Und Menschen wie Stephan B. denken, dass man da einfach in eine Synagoge spazieren kann? Aber dies passt zur allgemeinen Mentalität: Man nimmt Antisemitismus nicht ernst und relativiert die Ängste von uns Juden. Deshalb gab es ja auch nicht einmal an Yom Kippur Polizeischutz vor der Synagoge in Halle.

Und das ist das wahre Problem! Nicht nur versuchen Antisemiten verschiedener Couleur ihr Mütchen an uns Juden zu kühlen, weil sie uns für den Corona-Virus/Covid-19, Zuwanderung, Feminismus und den kläglichen Zustand der islamischen Welt verantwortlich machen, sondern sogar immer noch für Ritualmorde, wie das Werk des italienischen Malers Giovanni Gasparo beweist. Gasparo, der aus Hafenstadt Bari an der Adria stammt, hat mit seinem Bild, der Darstellung des angeblichen Ritualmords an Simon von Trient, der nicht tot zu kriegenden, antisemitischen Ritualmordlegende, neues Leben eingehaucht. Nicht nur das! Sein Bild spart auch nicht an antisemitischen Stereotypen, denn während Simon von Trient als blond und blauäugig dargestellt wird, haben die Juden, die ihn angeblich ermordet haben, alle eine Hakennase und Schläfenlocken.

Darum ist auch nicht verwunderlich, wenn man sich erdreistet, uns Juden am Ende sogar noch die Schuld am Antisemitismus zu geben. Einmal erklärte mir ein Nicht-Jude, dass wir Juden selber am Antisemitismus schuld seien, weil wir uns von der Gesellschaft abkapseln würden. Nachdem ich ihm von meiner Zeit in einer Sekundarschule im Zürcher Kreis 4 erzählt habe, hat er mich gefragt, warum ich ausgerechnet dort zur Schule gegangen sei und das antisemitische Mobbing dort durch meine Anwesenheit provoziert hätte.

Es ist zum verzweifeln, denn Antisemitismus wird konstant relativiert und wir Juden werden im Kampf gegen Antisemitismus oft wortwörtlich alleine auf weiter Flur gelassen. Was dazu führt, dass Antisemitismus seit Jahren rasant zunimmt, nunmehr Urstände feiert und sich dies in Fällen äusserst wie dem Attentat von Halle. Und solange man dagegen nicht effektiv vorgeht, sondern Antisemitismus praktisch Tür und Tür öffnet, wird es auch weiterhin solche Täter wie Stephan B. geben.

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