Offener Brief an Mustafa Yeneroglu

Sehr geehrter Herr Yeneroglu

Heute durfte ich lesen, dass Sie aus der AKP ausgetreten sind, weil Sie keine Hoffnung mehr haben, dass Ihre parteiinterne Kritik von Erdogan und den Seinen gehört wird. Als ich das gelesen habe, war ich überrascht: Wie naiv muss man sein, um nach den Ergenekon-Prozessen, den Schauprozessen, bei denen Erdogan und die Seinen schon damals von einem Putsch faselten, den angeblich pensionierte Offiziere gegen die AKP geplant hatten und der sich am Ende in Nichts auflöste, und bei den Protesten rund um den Gezi-Park zu glauben, dass die AKP in irgendeiner Art und Weise reformierbar sei?!?

Schon damals konnte jeder, der nur über etwas politische Bildung verfügt sehen, dass über kurz oder lang Erdogan die Allianz mit dem Westen kündigen und zur Karikatur eines orientalischen Diktators werden wird, d.h. man konnte sehen, wohin die Reise geht. Ohne mich selbst loben zu wollen, aber ich habe schon 2018 in «Freiheit ist keine Metapher» geschrieben, dass die Türkei unter der AKP mit Hilfe von anderen gescheiterten Imperien, nämlich Russland und dem Regime der Islamischen Republik Iran Syrien so aufteilen werde, wie das Osmanische-, das Persische Reich und Russland anno dazumal den Kaukasus aufteilten.

Mir ist bewusst, dass Sie als Migrantenkind in Deutschland aufgewachsen sind und es bestimmt nicht immer leicht hatten und dass Ihre Qualifikationen, Ihre Fähigkeiten und Ihr Intellekt in Frage gestellt wurden. Auch mir ist sowas nicht unbekannt, ich bin Jüdin, meine Mutter ist ukrainisch-jüdischer und georgischer Abstammung und ich bin in der Schweiz aufgewachsen, als Kind mit Migrationshintergrund, was in den späten 90er Jahren noch anders war als heute. Ich kann verstehen, wenn man sich nach «dem anderen Land» sehnt, weil einem gesagt wird, dass man nicht hierhergehört, weil man niemals richtiger Schweizer/Deutscher/ Europäer wird, weil man kein Christ ist. Mir wurde schon x-mal von den genau gleichen Leuten, die mir meinen Intellekt absprachen gesagt, dass ich zurück in den Balkan soll, weil der Krieg dort vorbei sei, obwohl ich absolut nichts mit dem Balkan zu tun habe.

Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass Sie trotz der Ressentiments und des Rassismus, denn Sie bestimmt, wie ich auch, erdulden mussten, absolut kein Recht haben, einen Teekessel-Diktator* wie Erdogan und dessen Regime zu verteidigen. Genau das haben Sie aber getan! Sie haben jahrelang einem menschenverachtenden Regime die Stange gehalten und für dieses Regime Propaganda betrieben. Sie sollten sich wirklich schämen.

Ja, die Türkei hat immer noch die Möglichkeit, eine solch starke Demokratie wie Deutschland, Schweden oder Norwegen zu werden, damit haben Sie vollkommen Recht. Allerdings muss die Türkei ihr Chauvinismus- und Irredentismus-Problem in den Griff bekommen und allem voran muss die Türkei endlich ein funktionierender Rechtsstaat werden. Das ist mit der AKP an der Spitze nicht möglich. Stattdessen drohen mit Erdogan und den Seinen weitere Eskalation, den Rojava war für den Diktator vom Bosporus nur der Anfang und er wird weitermachen, solange keine effektiven roten Linien gezogen werden.

*Ein Teekessel-Diktator ist ein diktatorischer Herrscher mit wenig politischer Glaubwürdigkeit, aber mit massivem Grössenwahn.

Der postsowjetische Raum- Eine Bestandsaufnahme!

Fast 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion möchte ich mich in diesem Beitrag mit den postsowjetischen Republiken im Allgemeinen und mit Belarus und den beiden Proxies des Kreml, Abchasien und der Zchinwali-Region/Süd-Ossetien, im Besonderen befassen. Der Grund dafür, dass ich ausgerechnet diese Entitäten ausgewählt habe, ist, dass sowohl Belarus unter dem Kolchose-Diktator und die beiden Kreml-Proxies Horte der Regression sind.

Befassen wir uns zuallererst mit Belarus, dem letzten souveränen* Staat in Europa, in dem noch die Todesstrafe vollstreckt wird, und das seit 1994 ununterbrochen von einem Mann regiert wird: Alexander Grigorevich Lukaschenko. Wenn ich Leuten wissen lasse, dass es einen Staat in Europa gibt, in dem noch die Todesstrafe vollstreckt wird, reagieren die meisten überrascht, und wenn ich ihnen dann sage, um welchen Staat es sich handle, wird das Ganze abgewunken, weil es die Menschen schlicht nicht interessiert, was im vermeintlichen Machtbereich des Kreml passiert. Da werden die Tatsachen, neben der Vollstreckung der Todesstrafe das Fehlen eines funktionierenden Rechtsstaates und von Menschen- und Bürgerrechten, geflissentlich ignoriert. Natalya Radina, eine Mitbegründerin von «Charter 97»** sagte einst, dass zudem die Gleichgültigkeit gegenüber der schlechten Menschenrechtslage in Belarus die Situation noch verschlimmern würde.

Genauso verhält es sich mit der Tatsache, dass die Proxies des Kreml Territorien von zwei souveränen Staaten okkupieren, nämlich der Ukraine und von Georgien. Im Falle von Georgien dauert die Okkupation von 20% des georgischen Territoriums schon über zehn Jahre und hat dazu geführt, dass an die 300 000 Menschen, 10% der georgischen Bevölkerung, zu Binnenflüchtlingen geworden sind. Und schon bald wird die Mehrheit der Bewohner in Abchasien und der Zchinwali-Region/Süd-Ossetien russisches Militärpersonal sein, weil die georgische Zivilbevölkerung vertrieben wurde! Aber nicht nur die georgische Zivilbevölkerung musste leiden und wurde vertrieben, sondern auch die verbleibenden Osseten müssen leiden, wie die veröffentlichten Aufnahmen von Folter in den Gefängnissen in der Zchinwali-Region/Süd-Ossetien zeigen. Dazu werde ich unten etwas verlinken. Auch diesen Fakten also wird kaum Beachtung geschenkt, und dies lässt mich an Noe Jordanias berühmt-berüchtigtes Zitat über Europa denken: “Die europäische Gesellschaft ist müde, sie fühlt nicht mit dem Schmerz der Anderen, sie erkennt den Schmerz der Anderen nicht mal und sie kümmert sich nur um eine Sache: Unter ihresgleichen zu sein, friedlich, ohne Sorgen..» Diese Worte schrieb Noe Jordania, der erste demokratisch legitimierte georgische Staatsmann und Premierminister der ersten demokratischen Republik Georgiens im Jahr 1921. Seitdem hat sich wenig verändert.

Nun mögen indifferente Subjekte behaupten, dass es doch irrelevant sei, ob zivilisierte Staaten diese Horte der Regression effektiv sanktionieren oder eben nicht. Denen möchte ich erwidern, dass das Fehlen von ernsthaften Sanktionen gerade bei Entitäten, wie das Regime des Kolchose-Diktators zeigt, wo man nicht gewillt ist, selbst gegen kleine, machtlose Diktaturen vorzugehen, dass auch Kleinvieh Mist macht und Dinge, wie das Vollstrecken der Todesstrafe und das Fehlen von Menschen- und Bürgerrechten dieser Mist alles andere als trivial ist. Zumal dieses Verhalten von zivilisierten Staaten sowohl im Kleinen, wie zum Beispiel bei Belarus und den hier genannten Entitäten, wie auch im Grossen, bei Staaten wie der Islamischen Republik Iran und Russland unter dem KGB-Zwerg, zu beobachten ist.

South Ossetia’s prisoner hunger strike debacle – who, what, why

*Die andere Entität in Europa, in der die Todesstrafe wieder eingeführt wurde, ist die Kreml-Proxy Abchasien.

**«Charter 97» ist der Name eines Manifests und einer Menschenrechtsorganisation in Belarus, die sich diesen Namen in Anlehnung an die tschechoslowakische «Charta 77» gegeben hat und gegen die nunmehr 25 Jahre andauernde Herrschaft des Kolchose-Diktators Alexander Lukaschenko kämpft.