Nachtrag zur Polemik um die Affäre zur Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Kirche

Geehrte Leser!

Kaum war die Tinte auf dem Tomos trocken, den Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel unterzeichnet und damit die Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Kirche besiegelt hat, fühlten sich weitere Schismatiker dazu ermutigt, die Autokephalie für «ihre Kirche» zu fordern. Und weil der Irrsinn weder Mass noch Grenzen kennt, wollen nun die Schismatiker auf beiden Seiten, sowohl oppositionelle Belarussen, wie auch der «Patriarch von Abchasien», ein Proxy des Kremls, die nur dank Putins Gnaden existiert, einen Tomos, der «ihre Autokephalie» bestätigt und besiegelt. Wie ich prophezeit habe, will nun jeder dahergelaufene, orthodoxe Christ für «seine Kirche» die Autokephalie, als ob diese Autokephalie auch nur ein Problem lösen würde, das derzeit die Welt heimsucht… Und deshalb muss der Patriarch von Konstantinopel, der alte Bartholomäus, nun härter ackern als eine Stripperin an einem Freitagabend in Atlanta.

Es gilt aber immer noch, was ich schon vor einiger Zeit geschrieben habe:

Allen patriotischen Ukrainern, die in der Autokephalie der jetzt gegründeten ukrainisch-orthodoxen Kirche primär einen symbolischen Akt sehen, um die Unabhängigkeit von Moskau zu demonstrieren, sei gesagt: Schon vorher bot die ukrainische Verfassung Religionsfreiheit und demzufolge auch die Möglichkeit, seine Religion zu wechseln, um unabhängig von Moskau und dem Moskauer Patriarchat zu sein. Selbst in der «letzten Diktatur Europas», in Belarus, ist es möglich, seine Religion zu wechseln, um sich demonstrativ vom Moskauer Patriarchat abzuwenden.

Und allen patriotischen, orthodoxen Christen, die mir unterstellen zu wenig Ahnung von der Materie zu haben, da ich weder Christin bin noch Religionswissenschaften studiert habe, sei gesagt: Solche Nebenkriegsschauplätze, um einen Tomos, der die Autokephalie besiegeln soll, helfen niemandem und werden, ausserhalb der orthodoxen Welt entweder nicht zur Kenntnis genommen oder mit Stirnrunzeln bedacht! Stattdessen lenkt diese Art der Symbolpolitik von den wirklich dringenden Aufgaben ab! Und die patriotischen Christen, die mir nun Heuchelei vorwerfen mögen, weil ich die Wiederherstellung der Autokephalie der georgisch-orthodoxen Kirche nicht so kritisch sehe, seien daran erinnert: Im Fall der georgisch-orthodoxen Kirche handelt es sich um eine Wiederherstellung der Autokephalie, da die georgisch-orthodoxe Kirche vor der Erschaffung des Moskauer Patriarchats existiert hat und dies nun sowohl von der «Mutterkirche», d.h. dem Patriarchat von Konstantinopel, wie auch von den Russen anerkannt wurde. (auch wenn letztere immer noch gerne in georgische Angelegenheiten hereinfunken). Im Falle der Erschaffung irgendwelcher orthodoxer Kirchen in Belarus, Abchasien oder sonst wo, handelt es sich, meiner Meinung nach, um Symbolpolitik und Schisma. Das sind gravierende Unterschiede.

Aber zurück zu den jetzigen Schismatikern, die, ich kann es nicht besser formulieren, mit der Jagd nach dem Tomos für die Autokephalie «ihrer Kirche» dem säkularen Rechtsstaat im post-sowjetischen Raum im Wege stehen. Dies ist besonders tragisch in Bezug auf die Ukraine und Belarus, die sich zwar tatsächlich von Russland emanzipieren müssen. Aber dies geht ja offensichtlich kaum, wenn man gedenkt auf den gleichen, chauvinistisch-orthodoxen Pfaden zu wandeln, wie es Russland derzeit tut. Alles in allem kann ich dieser Autokephalie-Manie nichts Gutes abgewinnen und fühle mich mehr und mehr entsetzt darüber, dass man gerade im post-sowjetischen Raum, so fahrlässig Nebenkriegsschauplätze beackert, wie dies derzeit der Fall ist.

Eine kleine Polemik zur Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Nationalkirche

Nun, da der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus, den christlich-orthodoxen Ukrainern ein Weihnachtsgeschenk* gemacht und den Tomos, der die Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Kirche bestätigt, unterzeichnet hat, könnte man sich wieder praktischen Dingen zuwenden, oder? Da wäre zum Beispiel die Okkupation der Krim mit den anhaltenden ethnischen Säuberungen der Krim-Tataren, der Krieg in der Ost-Ukraine, die allumfassende Korruption und die marode Infrastruktur. Doch nichts da: Die Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Kirche ist das Topthema in ukrainischen und russischen Medien und in den dazugehörigen Kommentarspalten geht die Post ab.

Hinzu kommt noch das Petro Poroschenko, der Präsident der Ukraine einen Wahlkampf mit Slogans aus dem 19. Jahrhundert macht, genauer von Ilia Chavchavadze, einer der wichtigsten Persönlichkeiten der georgischen Nationalbewegung und meiner Ansicht nach, neben Noe Jordania, der Vordenker der Wiedererweckung der georgischen Nation. Einer von Poroschenkos Wahlkampfslogans lautet: «Glaube-Sprache-Heimat», dass alles natürlich auf Ukrainisch geschrieben. Dieser Slogan erinnert mich stark an das Nationalkonzept für die georgische Souveränität von Ilia Chavchavadze, nämlich Territorium, Sprache und orthodoxe Christenheit. Mir persönlich kommt es so vor, als ob Petro Poroschenko mit Konzepten aus dem 19. Jahrhundert versucht Wahlkampf zu machen, weil er weder willens noch fähig ist die oben erwähnten Probleme zu lösen, welche die Ukraine derzeit heimsuchen.

Des Weiteren, finde ich, als Jüdin und säkulare Republikanerin** die Tatsache, dass ein theologisches Thema die Politik und Gesellschaft so beeinflusst, mehr als befremdlich, zumal die Ukraine de jure eine säkulare Verfassung hat. Eine solche Politisierung der orthodoxen Christenheit kann negative Konsequenzen für die nicht christlich-orthodoxen ukrainischen Bürger, wie die Tataren, Juden, Katholiken und Atheisten/ Agnostikern haben, nämlich dann, wenn das Monster des orthodoxen Chauvinismus um sich greift und Menschen, die nicht christlich-orthodox sind, zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Dies geschah schon in Russland, wo nicht-slawische, nicht orthodoxe Minderheiten, derzeit bestenfalls Bürger zweiter Klasse sind. Deshalb ist es auch möglich, dass dies in der Ukraine geschehen könnte. Um das zu verhindern, braucht man neben einer säkularen Verfassung, auch eine säkulare Kultur und eine wache, engagierte Zivilgesellschaft. Auch wäre es schön, wenn der Präsident sich mehr um die Belange der Bevölkerung kümmert, anstatt einem Pilger gleich, verschiedene Klöster, Kirchen und Wahlfahrtsorte innerhalb der Ukraine aufzusuchen. Göttlicher Beistand ist schön, aber nun braucht es Taten! Denn wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, Ilia Chavchavadze ist seit langem tot und Nationalkonzepte, wie oben dargelegt, helfen keinem Soldaten an der Front in der Ost-Ukraine, bringen die Krim nicht zurück und helfen auch nicht wirklich gegen Korruption.

Es sollte seit langem bekannt sein, dass regressive Konzepte Regression verfestigen und dies ist etwas, was die Ukraine jetzt nicht gebrauchen kann. Vor allem da die Ukraine eigentlich danach strebt ein moderner Rechtsstaat und ein NATO- und EU-Mitglied zu werden und dies trotz der, besonders bei DACH-Staaten, verbreiteten Tendenz von Diktaturen und Autokratien zu kuschen und Demokratien zu schelten. Bei solchen Zielen ist die Bedrohung durch orthodoxen Chauvinismus hinderlich. Deshalb ist es nun von enormer Wichtigkeit, dass die allumfassende Korruption, die marode Infrastruktur und dergleichen wieder prioritären Status haben. Auch weil das Beackern von Nebenkriegsschauplätzen zu Demokratiemüdigkeit und der Sehnsucht nach totalitären Ideologien und autoritären Herrschern nach sich ziehen können, wie man an dem wieder aufkeimenden Kult um OUN-Führer und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera, in Teilen der Ukraine beobachten kann.  Auch dann wären der Maidan und die darauffolgenden Kämpfe um die Würde der ukrainischen Bürger vergebens gewesen. Dies wäre eine Tragödie für die Ukraine.

Zu guter Letzt: Allen patriotischen Ukrainern, die in der Autokephalie der jetzt gegründeten ukrainisch-orthodoxen Kirche primär einen symbolischen Akt sehen, um die Unabhängigkeit von Moskau zu demonstrieren, sei gesagt: Schon vorher bot die ukrainische Verfassung Religionsfreiheit und demzufolge auch die Möglichkeit, seine Religion zu wechseln, um unabhängig von Moskau und dem Moskauer Patriarchat zu sein.

 

*In der orthodoxen Welt feiert man am 6. Januar Weihnachten.

** Republikanerin im französischen Sinn, d.h. ich lehne das Konzept der absolutistischen Monarchie ab, egal wie aufgeklärt der Herrscher auch sein mag.