Nachtrag zu meinen offenen Brief an Mustafa Yeneroglu

Geehrte Leser!

Als Nachwirkung meines offenen Briefes an den ehemaligen AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu erreichte mich auch Kritik. Mir erklärt wurde, dass ich mir nicht anmassen dürfe, einen konservativen Sunniten so zu kritisieren, wie ich es in meinem offenen Brief an Herrn Yeneroglu getan hätte, da es für Herrn Yeneroglu wahrscheinlich schon schwer genug gewesen sei mit seinem Hintergrund der AKP den Rücken zu kehren.

Dazu möchte ich erwidern: Ich kritisiere in meinem Blog und in meinen Beiträgen, wen und was ich will, und in diesem Fall kritisiere ich eben Mustafa Yeneroglu. Herr Yeneroglu erreichte im deutschsprachigen Raum einige Berühmtheit, indem er für das AKP-Regime Apologetik betrieb und, unteranderem, dass mehr als umstrittene Verfassungsreferendum von 2017 unterstützte, dass Erdogan eine noch nie dagewesen Machtfülle verlieh. Hinzu kommt, dass Mustafa Yeneroglu zwar in Bayburt geboren wurde, aber in Köln aufgewachsen ist und auch dort und in Izmir Rechtswissenschaften studierte. Als ausgebildeter Jurist sollte dem Herrn Yeneroglu Diskurs mit Andersdenkenden und das Infragestellen von Ideologien nicht fremd sein. Herr Yeneroglu bezeichnet sich als Gastarbeiterkind, das bedeutet in seinem Fall aber nicht, dass er in Anatolien Schafe gehütet hat. Ganz im Gegenteil: Dieser Mann konnte studieren und hat studiert und war gewählter Politiker für eine Partei, deren Führer dafür bekannt wurde, das umstrittene Gedicht des türkischen Dichters Ziya Gökalp bei einer Wahlveranstaltung rezitiert zu haben, nun seit mehr als 16 Jahren seine Herrschaft ausbaut und in dieser Zeit immer mehr zur Karikatur eines orientalischen Despoten verkommen ist.

Ich, eine bisexuelle, jüdische Frau mit Migrationshintergrund, bin deshalb nicht gewillt, bei Mustafa Yeneroglu einen «Rassismus der tieferen Erwartungen» zu praktizieren, nur aufgrund seiner Herkunft und weil dieser bereit war, allen Warnungen zum Trotz sich jahrelang zum Steigbügelhalter des AKP-Regimes im deutschsprachigen Raum zu stilisieren! Stattdessen kritisiere ich das, was notwendig ist, und diesem Fall ist es notwendig, den Chauvinismus innerhalb der türkischen Gemeinschaft, sowohl auf türkischem Boden wie in der Diaspora, zu kritisieren. Denn es ist dieser Chauvinismus, der zum Erfolg der AKP führte und alle kritischen Stimmen, vor allem wenn diese Stimmen von Minderheiten wie den Aleviten, Kurden und anderen stammen, ignoriert oder zum Schweigen bringt.

Darum halte ich Mustafa Yeneroglus jetzige Verlautbarung für absolut heuchlerisch: „Das alles ist eine Frage der Sozialisation. Ich bin nicht in einem System autoritärer Erziehung aufgewachsen. Ich wurde in einem anti-autoritären Umfeld erzogen, wo man das Wahre sagt und dafür streitet». Zumal ich mich noch an das Interview erinnere, das Herr Yeneroglu dem «Migazin» gab und in dem er jammerte, dass die AKP auf ihn zugekommen sei und die CDU nicht. Denn es war, wie ich schon früher geschrieben habe, spätestens seit den Ergenekon-(Schau-)Prozessen offensichtlich, dass die AKP keine gemässigt «islamische»-  oder gar konservative Partei ist, sondern eine anti-demokratische Sammelbewegung der sogenannten «Türkischen Synthese», d.h. von National-Islamisten, und dieser Sammelbewegung schloss sich Herr Yeneroglu 2015 an, nach den Ergenekon-(Schau-)Prozessen!

Jetzt, nachdem Erdogan endgültig die Allianz mit dem Westen kappt, den Vertrag von Lausanne in Frage stellt und nun, endgültig zur Karikatur eines orientalischen Despoten verkommen, seinen Schwiegersohn zum Finanzminister ernannt hat, das AKP-Regime zu kritisieren ist, in meinen Augen, ein bisschen spät.

Generell bin ich es leid, wenn die Wähler von Autokraten wie Putin und Erdogan konstant in Schutz genommen werden und ihre Wahlentscheidung, die dazu geführt hat, das Russland seit bald zwanzig Jahren und die Türkei seit gut sechzehn Jahren von den gleichen Despoten mehr schlecht als recht regiert werden, relativiert wird! Da wächst eine Generation von Menschen heran, die aufgrund des Chauvinismus der Mehrheitsbevölkerung der dortigen Staaten nichts anderes kennt als Putin und Erdogan! Schlimmer noch: Aufgrund der expansiven und irredentistischen Politik von Moskau und Ankara leiden nicht nur oppositionelle Russen und Türken, sondern auch die Menschen in Georgien, in der Ukraine und in Rojava, da Russland respektive die Türkei dort einmarschiert und nachweislich an ethnischen Säuberungen beteiligt sind und waren. Alles in allem ist es billig, sich nun aus der Verantwortung zu stehlen und darum bleibe ich bei meiner Kritik.

Es war vorhersehbar!

Geehrte Leser!

«Was war vorhersehbar?», werden sie sich bestimmt fragen. Die Politik von gescheiterten Imperien wie der Türkei unter dem AKP-Regime, von Putins Russland und des Regimes der Islamischen Republik lautet meine Antwort. Das man es beim AKP-Regime und seinen Statthaltern mit Anhängern der türkischen Synthese, sprich: National-Islamisten zu tun hat, die von einer Wiederauferstehung des Osmanischen Reiches träumen,  zu tun hatte, dürfte jedem klar gewesen sein, der sich etwas mit Erdogan und anderen AKP-Politikern und vor allem mit der Ideologie, die hinter der AKP steckt, beschäftigt hat.

Wie ich schon in «Freiheit ist keine Metapher» (Querverlag, Berlin) geschrieben habe:

«… Dies und vieles mehr zeigt, dass analog dazu, wie die «Islamische Republik» nur auf dem Papier eine Republik ist, Antiimperialisten nur in der Theorie gegen Imperialismus sind. Faktisch handelt es sich um politische Existenzen, die von der Freiheit in liberalen Demokratien überfordert sind. Weil diese regressiven Linken höchstwahrscheinlich nie Opfer der imperialistischen Politiksolch autoritärer Staatsformen werden, die sie begeistern, schweigen sie auch jetzt, während die Rechtsnachfolger gescheiterter Imperien – Erdogans Türkei, Russland und die «Republik» der Mullahs- nach Feudalherrenmanier Syrien so parzellieren, wie ihre Vorfahren einst den Kaukasus aufgeteilt haben. Somit opfern die Antiimperialisten die Zivilbevölkerung Syriens und des Irans ihrem Weltbild, den Bauern beim Schachspiel nicht unähnlich.»

Ich habe obenstehenden Text im späten Frühling, frühen Sommer 2018 geschrieben. Er hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren. Schlimmer: Es ist noch viel schrecklicher geworden. Durch die Untätigkeit und die Gleichgültigkeit des Westens, wie die Tatsache, dass der amerikanische Präsident Donald Trump die Sanktionen gegen die Türkei wieder aufgehoben hat, fühlen sich die Rechtsnachfolger der gescheiterten Imperien ermutigt, mit ihrer imperialistischen und irredentistischen Aussenpolitik fortzufahren und ihre regionalen Nachbarn weiterhin zu schikanieren und zu terrorisieren. Darunter leiden dann ganz konkret zum Beispiel jetzt die Kurden in Rojava.

Es ist natürlich vollkommen naiv zu glauben, dass man zum Beispiel die Türkei aus der NATO werfen könnte. Das kann man nämlich nicht. Was man aber kann und tun sollte, ist die NATO-Mitgliedschaft der Türkei bis auf weiteres zu sistieren und stattdessen den Musterschüler der südkaukasischen Republiken, Georgien, zu einem NATO-Mitglied zu machen. Dazu braucht es Sanktionen. Harte Sanktionen, die Ländern wie der Türkei, der Islamischen Republik Iran und Russland zeigen sollen, dass es Konsequenzen hat, wenn diese weiterhin ihre regionalen Nachbarn terrorisieren und schikanieren.

Allerdings weiss ich, dass auch mein Wunsch, imperialistische und totalitäre Erben von gescheiterten Imperien effektiv zu sanktionieren, nur ein frommer Wunsch bleiben wird. Denn derzeit feiert der sogenannte «Rassismus der tieferen Erwartungen» Urstände und dies führt dazu, dass in Bezug auf Länder wie Russland unter dem KGB-Zwerg, die Türkei des AKP-Regimes und die Islamischen Republik weiterhin auf gescheiterte Methoden wie den «kritischen Dialog» und den «Wandel durch Annäherung» gesetzt wird. Vor allem beim sogenannten «Wandel durch Annäherung» frage ich mich immer wieder, warum jemand, der moralisch nicht vollkommen verwahrlost ist, eine Annäherung in irgendeiner Form an ein menschenverachtendes Regime will.

Hinzu kommt, dass eine solche Politik von der Türkei unter der AKP und des Regimes der Islamischen Republik und Russlands als Schwäche interpretiert wird. Trotz der Tatsache, dass der Westen eigentlich am längeren Hebel sitzt: Erdogan ist, bestenfalls, ein Teekessel-Diktator, der nur ein Ass im Ärmel hat, nämlich den Flüchtlingsdeal mit der EU, Russland hat die gleiche Wirtschaftsleistung wie Spanien und ist dazu von Korruption korrumpiert und abhängig vom Ölpreis und dies gilt auch für die Islamische Republik Iran, die derzeit ausser Petro-Chemie, Pistazien und Safran nichts zu bieten hat. Es gibt also keine vernünftigen Gründe, Erben von gescheiterten Imperien auf der Nase herumtanzen zu lassen, und trotzdem wird dies derzeit immer noch getan. Was eine Farce ohne Gleichen ist!