Eine kleine Polemik zur Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Nationalkirche

Nun, da der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus, den christlich-orthodoxen Ukrainern ein Weihnachtsgeschenk* gemacht und den Tomos, der die Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Kirche bestätigt, unterzeichnet hat, könnte man sich wieder praktischen Dingen zuwenden, oder? Da wäre zum Beispiel die Okkupation der Krim mit den anhaltenden ethnischen Säuberungen der Krim-Tataren, der Krieg in der Ost-Ukraine, die allumfassende Korruption und die marode Infrastruktur. Doch nichts da: Die Autokephalie der ukrainisch-orthodoxen Kirche ist das Topthema in ukrainischen und russischen Medien und in den dazugehörigen Kommentarspalten geht die Post ab.

Hinzu kommt noch das Petro Poroschenko, der Präsident der Ukraine einen Wahlkampf mit Slogans aus dem 19. Jahrhundert macht, genauer von Ilia Chavchavadze, einer der wichtigsten Persönlichkeiten der georgischen Nationalbewegung und meiner Ansicht nach, neben Noe Jordania, der Vordenker der Wiedererweckung der georgischen Nation. Einer von Poroschenkos Wahlkampfslogans lautet: «Glaube-Sprache-Heimat», dass alles natürlich auf Ukrainisch geschrieben. Dieser Slogan erinnert mich stark an das Nationalkonzept für die georgische Souveränität von Ilia Chavchavadze, nämlich Territorium, Sprache und orthodoxe Christenheit. Mir persönlich kommt es so vor, als ob Petro Poroschenko mit Konzepten aus dem 19. Jahrhundert versucht Wahlkampf zu machen, weil er weder willens noch fähig ist die oben erwähnten Probleme zu lösen, welche die Ukraine derzeit heimsuchen.

Des Weiteren, finde ich, als Jüdin und säkulare Republikanerin** die Tatsache, dass ein theologisches Thema die Politik und Gesellschaft so beeinflusst, mehr als befremdlich, zumal die Ukraine de jure eine säkulare Verfassung hat. Eine solche Politisierung der orthodoxen Christenheit kann negative Konsequenzen für die nicht christlich-orthodoxen ukrainischen Bürger, wie die Tataren, Juden, Katholiken und Atheisten/ Agnostikern haben, nämlich dann, wenn das Monster des orthodoxen Chauvinismus um sich greift und Menschen, die nicht christlich-orthodox sind, zu Bürgern zweiter Klasse degradiert. Dies geschah schon in Russland, wo nicht-slawische, nicht orthodoxe Minderheiten, derzeit bestenfalls Bürger zweiter Klasse sind. Deshalb ist es auch möglich, dass dies in der Ukraine geschehen könnte. Um das zu verhindern, braucht man neben einer säkularen Verfassung, auch eine säkulare Kultur und eine wache, engagierte Zivilgesellschaft. Auch wäre es schön, wenn der Präsident sich mehr um die Belange der Bevölkerung kümmert, anstatt einem Pilger gleich, verschiedene Klöster, Kirchen und Wahlfahrtsorte innerhalb der Ukraine aufzusuchen. Göttlicher Beistand ist schön, aber nun braucht es Taten! Denn wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, Ilia Chavchavadze ist seit langem tot und Nationalkonzepte, wie oben dargelegt, helfen keinem Soldaten an der Front in der Ost-Ukraine, bringen die Krim nicht zurück und helfen auch nicht wirklich gegen Korruption.

Es sollte seit langem bekannt sein, dass regressive Konzepte Regression verfestigen und dies ist etwas, was die Ukraine jetzt nicht gebrauchen kann. Vor allem da die Ukraine eigentlich danach strebt ein moderner Rechtsstaat und ein NATO- und EU-Mitglied zu werden und dies trotz der, besonders bei DACH-Staaten, verbreiteten Tendenz von Diktaturen und Autokratien zu kuschen und Demokratien zu schelten. Bei solchen Zielen ist die Bedrohung durch orthodoxen Chauvinismus hinderlich. Deshalb ist es nun von enormer Wichtigkeit, dass die allumfassende Korruption, die marode Infrastruktur und dergleichen wieder prioritären Status haben. Auch weil das Beackern von Nebenkriegsschauplätzen zu Demokratiemüdigkeit und der Sehnsucht nach totalitären Ideologien und autoritären Herrschern nach sich ziehen können, wie man an dem wieder aufkeimenden Kult um OUN-Führer und Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera, in Teilen der Ukraine beobachten kann.  Auch dann wären der Maidan und die darauffolgenden Kämpfe um die Würde der ukrainischen Bürger vergebens gewesen. Dies wäre eine Tragödie für die Ukraine.

Zu guter Letzt: Allen patriotischen Ukrainern, die in der Autokephalie der jetzt gegründeten ukrainisch-orthodoxen Kirche primär einen symbolischen Akt sehen, um die Unabhängigkeit von Moskau zu demonstrieren, sei gesagt: Schon vorher bot die ukrainische Verfassung Religionsfreiheit und demzufolge auch die Möglichkeit, seine Religion zu wechseln, um unabhängig von Moskau und dem Moskauer Patriarchat zu sein.

 

*In der orthodoxen Welt feiert man am 6. Januar Weihnachten.

** Republikanerin im französischen Sinn, d.h. ich lehne das Konzept der absolutistischen Monarchie ab, egal wie aufgeklärt der Herrscher auch sein mag.

Der Irredentismus gescheiterter Imperien und europäische Indifferenz

Heute durfte man in verschiedenen Medien lesen, dass Xi Jinping, der Vorsitzende der kommunistischen Partei der Volksrepublik China dem demokratischen Rechtsstaat Taiwan, den die Volksrepublik als Teil Chinas sieht, mit gewaltsamer «Wiedervereinigung», also Okkupation gedroht hat.

Dies ist nicht weiter überraschend. Im Jahre 1923 appellierte Noe Jordania, der erste Premierminister der Demokratischen Republik Georgiens, der damals schon im Exil war, an Washington mit folgenden Worten:

«Im zwanzigsten Jahrhundert, vor den Augen der zivilisierten Welt, appelliere ich an das Gewissen der zivilisierten Staaten und aller aufrichtigen Menschen diese Barbarei und Unterdrückung und die Kriminellen, die diese Unterdrückung inspirieren und tätigen- Die Bolschewiken- zu verdammen.»

Sein Appel verhalte folgenlos und Georgien konnte erst 1991 wieder die Unabhängigkeit wiedererlangen.

Nun könnte man denken, dass die Schrecken durch die totalitäreren Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts die Europäer eines Besseren belehrt hätten, doch dem ist nicht so. Die Okkupation von Nord-Zypern durch die Türkei wird ignoriert, stattdessen kann man dort in den Casinos Bürger verschiedener westlicher Staaten beim Glücksspiel beobachten. Das trotz der Tatsache, dass Aktivisten wie Anastasios «Tassos» Isaac ermordet wurden. Auch dem Irredentismus von Russland wird kaum Beachtung geschenkt. Man hat es nicht getan wegen diesem Gebilde namens Transnistrien, das im Prinzip ein KGB-Mafia-Staat ist.
Man hat die Okkupation und Militarisierung von 20% des georgischen Staatsgebiets und die Entstehung der Kreml-Proxies Abchasien und der Zchinwali-Region/ Süd-Ossetien fast vollständig ignoriert. In diesen Proxies wird schon bald die Mehrheit der Bewohner russisches Militärpersonal sein, weil die georgische Zivilbevölkerung vertrieben wurde!
Und dann hat man Putin auf der Krim und in der Ost-Ukraine gewähren lassen.
Aber angefangen hat diese Gleichgültigkeit der Europäer für das, was am Rande Europas passiert schon früher. Auch dazu hat Noe Jordania, der übrigens Bücher über die Sowjetunion verfasst hat, in denen er den Sowjets vorwarf «Imperialisten unter der Maske von Revolutionären zu sein», etwas gesagt. Nämlich das Folgende:

“Die europäische Gesellschaft ist müde, sie fühlt nicht mit dem Schmerz der Anderen, sie erkennt den Schmerz der Anderen nicht mal und sie kümmert sich nur um eine Sache: Unter ihresgleichen zu sein, friedlich, ohne Sorgen..»

Aufgrund der europäischen Indifferenz, was Autokraten am Rande Europas und anderswo tun, ist es nicht weiter überraschend, dass sich nun Despoten wie Putin und Xi Jinping ermutigt fühlen dem Irredentismus zu frönen. Im Fall von Xi Jinping, in dem man der souveränen Nation Taiwan droht und bei Putin in dem man nun versucht die Souveränität von Belarus aufzuheben und Belarus in Russland zu «integrieren». Im Fall von Belarus, das heute leider die letzte Diktatur Europas ist, wo der Kolchose-Diktator Alexander Lukaschenko die Todesstrafe praktiziert, meldete sich jedoch der Oppositionsführer der «Hramada*», Nikolai Statkevich zu Wort. In der ukrainischen Fernsehsendung «Premier» drohte Statkevich, der aus Belarus zugeschaltet worden war, das «Belarus (für Russland) keine zweite Krim, sondern ein zweites Afghanistan wird.»

Damit spielte er auf die fast fünfhundert Jahre alte Partisanentradition der Belarussen an und die Tatsache, dass Afghanistan für Russland dasselbe war, wie Vietnam für die Amerikaner. Es ist bezeichnend, dass diese verzweifelte Reaktion auf den Neo-Imperialismus Russlands in Europa und anderswo kaum eine Reaktion hervorrufen wird, abgesehen von vielleicht ein paar lächerlichen Sanktionen. Aber genau dieser Indifferenz Europas ist es, die irredentistischen Despoten darin bestärkt nicht nur in ihren eigenen Ländern mit harter Hand zu herrschen, sondern auch andere, souveräne Staaten zu bedrohen und im schlimmsten Fall gar sich diese Staaten einzuverleiben oder Teile davon zu okkupieren. Dieses Laissez-faire und laissez-aller Europas im Angesicht von regressiven Ideologien, wie dem Irredentismus, muss deshalb aufhören, auch um die Würde und die Menschenrechte von Menschen am Rande Europas und ausserhalb nicht auf dem Altar des Irredentismus, der Indifferenz und der Regression zu opfern. Sonst behält der olle Marx am Ende doch noch recht, denn er schrieb einst: «Geschichte wiederholt sich, zuerst als Tragödie, dann als Farce.»

 

*Hramada ist Belarussisch und bedeutet «Versammlung», oft und auch in diesem Fall meint man damit die grösste, belarussische Oppositionspartei «die Belarussische Sozialdemokratische Partei (Volksversammlung)»